Karbener LiteraturTreff e.V.



Bericht vom Sommerfest am 29. November 2018
Innere und äußere Emigration: Ernst Wiechert und Joseph Roth



Ort: KUHtelier, Groß Karben, im Schlosshof von Leonhardi
Zeit: 19.00 - 22:05 Uhr
Anwesende: 60 Personen

Dieter Körber begrüßt als neuer erster Vorsitzender die Gäste und den auf der diesjährigen Mitgliederversammlung zum Ehrenvorsitzenden ernannten Hans-Martin Thomas.

Im ersten Programmteil vor der Pause stellt Dieter Körber als Vertreter der äußeren Emigration den österreichischen Autor Joseph Roth vor, der schon 1930 nach Paris ins Exil gegangen war und eindringlich vor den Nazis und den Gefahren der heraufziehenden Barbarei warnte. Der außergewöhnliche Stilist und Wortkünstler war ein kompromissloser Hasser der Nazis. Roth verzieh Niemand eine auch nur rudimentäre Zusammenarbeit mit Nazideutschland und sah bereits 1933 fast seherisch den großen Krieg und den Untergang Europas voraus.



Als erstes widmet sich Hans-Martin Thomas Roths früher Erzählung "Der Vorzugsschüler" von 1916. Der kurze Text erzählt die Lebensgeschichte des Klassen- Primus Anton, der trotz gesellschaftlichen Erfolgs geplagt ist von Bindungslosigkeit, Fremdheit, Leere und Verlorenheit: Er packt im Leben fast alles richtig an, nur das Lachen und Lieben versagt er sich bis zu seinem Ende. Im Sarg lacht er erstmals aus vollem Herzen, amüsiert über die Dummheit seiner Mitmenschen.





"Hiob, Roman eines einfachen Mannes": in diese Geschichte führt Dieter Körber ein. Mendel Singer ein gottesfürchtiger, frommer Jude wird plötzlich vom Schicksal hart gebeutelt und da hadert der fromme Mann mit Gott. Aber zum Ende des Romans stirbt Mendel Singer mit Gott versöhnt und glücklich. Körber erzählt den Inhalt und liest bewegend einige größere Textzitate.




Es folgt von Barbara Metz vorgestellt Roths bedeutendster Roman "Radetzkymarsch", der Roman bildet mit der Geschichte des Untergangs der Familie Trotta metaphorisch den Verfall des Habsburger Reiches ab. Zitat Roth: "Ein grausamer Wille der Geschichte hat mein altes Vaterland, die österreichisch-ungarische Monarchie, zertrümmert. Aus dem Vergehenden, dem Verwehenden das Merkwürdige und zugleich das Menschlich-Bezeichnende festzuhalten ist die Pflicht des Schriftstellers". Eindrucksvoll liest Barbara Metz Originaltextstellen.


Sechs Jahre nach der Veröffentlichung des Radetzkymarsch setzt Roth mit der "Kapuzinergruft" die Geschichte des neuzeitlichen Österreich in der Form eines Familienromans fort. Protagonist des in Ich-Form geschriebenen Romans ist Franz Ferdinand Trotta der Neffe des Helden von Solferino vom nicht-adeligen Zweig der Familie. Das Ergreifendste und Wahrste am Roman sind die letzten paar Seiten, die die Reaktion des "Helden" auf die Kunde des Anschlusses an das Deutsche Reich wiedergeben. Zitat: "Alle sind fort, nur der Hund Franz ist geblieben. Mit diesem irrt er durch das nächtliche Wien und landet bei der Kapuzinergruft, wo er den Mönch bittet, den Sarg seines Kaisers besuchen zu dürfen. Er stimmt das "Gott erhalte" an, doch der Mönch schickt ihn weg. "Wo soll ich denn hin, ich, jetzt, ein Trotta!?" Hier glänzt Karin Schrey durch ihren Vortrag.

Anrührend und brillant Nicola Piesch mit Saxophon und
Dieter Wierz am Piano. Sie spielen C-Jam Blues.











Almut Rose stellt die "Die Legende vom heiligen Trinker" vor. Roth beendete sein letztes literarisches Werk mit den hoffnungsvollen Worten: Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod! Ihm selbst war jedoch kein leichter und schöner Tod vergönnt. Obgleich schwer alkoholkrank verfasste er dieses Werk in einer kristallklaren Sprache, mit luzider Ausdruckskraft. Dieses Werk dürfte eines seiner besten, wenn nicht das beste Werk überhaupt sein.






Beispielhaft für die "Innere Emigration" stellen nach der Pause Ingrid Axt, Robert Axt und Manfred Mattner Leben und Werk Ernst Wiecherts vor. Geschickt lockern sie durch abwechselndes Lesen die ernsten politischen Texte auf und machen sie durch Kommentare zugänglich für die Zuhörer, die diese Zeit ja nicht miterlebt haben.
Der heute fast vergessene Dichter Ernst Wiechert (*1887 †1950) zählte zwischen 1925 bis zu seinem Tod 1950 zu den meistgelesenen deutschen Autoren mit Kultstatus. Seine einfühlsamen Romane, voll christlicher Inhalte wie Demut und Barmherzigkeit, die häufig um seine ostpreußische Heimat und deren melancholische weite Landschaft mit Wäldern und Seen kreisen ("Wälder und Menschen" )sowie seine empfindsame Lyrik trafen lange Zeit nicht nur den Geschmack des Publikums, sondern bedeuteten in der schweren Zeit der Nazi-Herrschaft und des Kriegs für viele Leser eine Lebenshilfe und Tröstung.
Seine Publikationen über die Erlebnisse an der Front im 1. Weltkrieg in Frankreich lassen keine Begeisterung für das Militärische erkennen, aber sein Pflichtbewusstsein, auch seinen Kameraden gegenüber. Seine Bücher und Gedichte sind Lehrstoff in den Schulen geworden, so dass es nicht verwundert, dass er oft den Auftrag erhält, öffentliche Reden zu halten, darunter zwei an die Deutsche Jugend, davon eine 1933, kurz nach der Machtergreifung, in der er nur sehr andeutungsweise Kritik an den neuen Machtverhältnissen übt, in der 2. Rede 1935 aber kritisiert er vor 1000 Studenten im Auditorium Maximum der Münchner Universität die Machthaber so deutlich, dass Lesungen seiner Werke künftig behindert oder verboten werden. Nachdem sich Wiechert für den im KZ Sachsenhausen inhaftierten Pastor Martin Niemöller engagiert hatte, wird er im Mai 1938 wegen "betont staatsfeindlicher Gesinnung" verhaftet und für 2 Monate ins KZ Buchenwald zum Zwecke einer "Erziehungsmaßnahme" verbracht. Zitate aus "Der Totenwald- Ein Bericht" machen deutlich, dass Wiecherts Sprache sich fortlaufend versachlicht.
Nach dem Krieg hält Wiechert am 11. November 1945 im Münchner Schauspielhaus seine viel beachtete 3. Rede an die Deutsche Jugend, in der er mit der 12-jährigen Zeit des Nationalsozialismus und mit dem herkömmlichen Heldenbegriff abrechnet. Am Ende des Vortrags geht Robert Axt auf die gefühlsbetonte Lyrik des Dichters ein und rezitiert seine Gedichte "Der Vater" und "Deutsche Weihnacht"
Der Abend wurde musikalisch begleitet von dem bekannten Duo Niocola Piesch (Gesang, Ukulele, Saxophon) und Dieter Wierz (Piano), die mit sicherem Gespür die passenden Klänge ausgesucht hatten wie "Irgendwo auf der Welt" "Ich weiß nicht zu wem ich gehöre", "C-Jam Blues", "Lilli Marleen", "Sag mir, wo die Blumen sind", "Autumn leaves".







Mit einem Dank an alle Vortragenden verabschiedete Dieter Körber die Gäste.
Unser nächster literarischer Abend findet statt am:
31. Januar 2019 mit dem Thema : Vater Sohn Konflikte in der Literatur
Wie immer im KUHtelier, aber um 19:30 Uhr um auch berufstätigen Interessierten die Möglichkeit zu geben von Anfang an dabei sein zu können.


Almut Rose