Karbener LiteraturTreff e.V.
Bericht vom Literaturabend, 26. September 2019:
"Stimmen der Literatur zum September 1939"
Ort: KUHtelier, Groß Karben, im Schlosshof von Leonhardi
Zeit: 19:30 - 22: 45 Uhr
Anwesende: ca. 35 Personen und Pressevertreter
Der 1. Vorsitzende des Karbener LiteraturTreff e.V., Dieter Körber, begrüßt die
Gäste und stellt den Organisten und Pianisten Robert Krebs vor. Robert Krebs
begleitete die einzelnen Redebeiträge mit einfühlsamen eigenen Kompositionen
und zeigte sich als ein Meister der leisen Töne am Klavier und gab dem ernsten
Charakter dieses Literaturabends eine besondere Note, hatte er doch einen Zyklus
mit sechs Motiven komponiert, die sich harmonisch zwischen die
Textbeiträge einfügenden
Körber erläuterte professionell und ausführlich in der Einführung zum Thema die
Umbrüche und gesellschaftlich-politischen Entwicklungen der Weimarer Republik.
Die Machtübergabe an Hitler durch Hindenburg unterstützt von den nationalkonservativen
Vertretern der Rechten Presse und Groß-Agrariern. Bald darauf wurden fünf Gesetze
erlassen, die in Zusammenhang mit den Biografien der Autoren stehen, die an
diesem Abend behandelt wurden, wie das Gesetz, das die Ausbürgerung politischer
und jüdischer Emigranten ermöglichte. Körber warf die Frage auf, ob das
Stillhalten der Alliierten zur Annexion Österreichs, zur Zerschlagung der
Tschechoslowakei und der Einnahme des Sudetenlandes in Hitler eventuell die
Hoffnung geweckt haben könnte, dass die Alliierten vielleicht auch den Einmarsch
in Polen dulden würden. Hitler hatte einen Nicht-Angriffspakt des Deutschen
Reichs mit der Sowjetunion abgeschlossen. Mit dem Angriff auf Polen am 1.
September 1939 begann der Zweite Weltkrieg.
Der Einleitung schloss sich der 1. Teil des aus dem Musik-Zyklus, mit dem
Titel "Hineintauchen" an.
Ernst Jüngers "Auf den Marmorklippen" hatte sich Hans Kärcher vorgenommen.
Gekonnt und engagiert las er aus dem in einer nüchternen Sprache geschriebenen
und in einer Fantasielandschaft spielenden Roman. Der Roman bedient sich Elementen
der Schauerromantik und Fantasy-Literatur und erinnert Hans Kärcher an Karls Mays
spätere Romane um "Ardistan und Dschinnistan". Jünger verwendet dabei eine nüchterne
Sprache, "wie ein Insektenforscher seine Käfer beschreibt" - Insektenkunde war
Jüngers Hobby. Die Handlung verlegt Jünger in eine Marina an einem See,
dahinter ein Wald, in dem der Protagonist des Romans in Anlehnung an die
Sprache der Romantiker auf der Suche nach einem besonderen "Blümelein" ist.
In dem Textauszug, den Hans Kärcher auswählt, wird
"der Niedergang der guten Sitten in der Marina" beklagt. Auch der Tyrannenmord
kommt in dem Roman zur Sprache.
Den Musikbeitrag "Ideal 1" versteht der Komponist Robert Krebs als
"Versuch sich dem Ideal der Gleichheit musikalisch zu nähern".
Dieter Körber las mit eindringlicher Emphase den Briefwechsel von 1936- 37 zwischen
Thomas Mann und der Uni Bonn, vertreten durch den Dekan. Mann war erbost über die
Aberkennung seiner Ehrendoktorwürde und schrieb indirekt auch eine Abrechnung mit
dem Regime. Dekan der Uni Bonn hatte ihm Ende 1936 in einem Schreiben mitteilt,
dass "die Philosophische Fakultät sich `genötigt´ sehe, Thomas Mann aus der Liste
der Ehrendoktoren zu streichen". In seiner Antwort vom 1.1. 1937 schreibt Mann
zurück, dass ihm die Freude an dieser Würde längst durch die Mitschuld der
deutschen Universitäten an den Zuständen in Nazi-Deutschland verleidet sei und
im Übrigen durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Harvard
mehr als wettgemacht wurde. In seinem langen Brief geht er ausführlich auf die
Zustände in Deutschland ein und prangert schonungslos die Verbrechen der
Naziherrschaft an, die zu einem schlimmen Ende führen werden. Seine Ausführungen
sind von beeindruckender Klarheit und Weitsicht geprägt.
Robi Krebs jetzt mit der thematischen Fortsetzung seiner Komposition "Ideal II".
Einfühlsam und bewegend las Barbara Metz aus Anna Seghers "Das siebte Kreuz".
Der große Roman der DDR-Autorin. In dem die ganze Brutalität der Konzentrationslager
geschildert wird. Barbara Metz beschließt mit ihrem Beitrag zu Anna Seghers
"Das siebte Kreuz" den ersten Teil des Literaturabends. Obwohl der Roman bereits
1938 geschrieben wurde, beschreibt Seghers die Situation in den Konzentrationslagern
mit ihrer ganzen Brutalität.Der Roman ist in sieben Kapitel unterteilt. Sieben
Gefangene fliehen, der Kommandant verkündet, dass sie innerhalb von sieben Tagen
zurückzubringen seien. Er lässt sieben Bäume kappen und Kreuze daraus machen.
Sechs Flüchtende werden gefasst, einer entkommt … Jeder von den Sieben steht
für eine ganz bestimmte Gruppe, stellt eine bestimmte Schicht dar - gemeinsam
bilden sie einen Querschnitt durch die Gesellschaft. Der Roman Anna Seghers´,
die 1950 von West- nach Ostberlin übersiedelte, gehörte zur Pflichtlektüre in der DDR.
Nach der Pause boten Ingrid und Robert Axt einen äußerst interessanten Beitrag
mit Joachim Fests "Ich nicht". In dem autobiografischen Roman behandelt Joachim
Fest eingehend seine Kindheit- und Jugenderinnerungen zwischen 1933 bis 39.
Ingrid und Robert Axt näherten sich dialogisch dem Text und lieferten eine äußerst
überzeugende Lesung. Joachim Fest war u. a. Mitherausgeber der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, moderierte meist die Fernsehsendung "Panorama" und schrieb
eine Hitler-Biografie. In "Ich nicht" behandelt er, wie gesagt, seine Kindheits-
und Jugenderinnerungen zwischen 1933 bis 39, in denen sein Vater Johannes eine
große Rolle spielt. Von ihm lernt der Sohn "Misstrauen als Überlebensregel".
Die Nazis hatten ihn aus dem Schuldienst entlassen. "Wir gegen die Welt",
lernt der Junge als Devise. Man kann und darf nicht alles mitmachen, man muss
Teilnahme an Unrecht verweigern. "Ich nicht" bezieht sich auf die in den Evangelien
festgehaltene Szene zwischen Jesus und Petrus, in der Jesus seinen Jüngern prophezeit,
dass sie ihn verraten würden. Petri Antwort "Ich nicht" erfährt in dem Buch Fests
jedoch eine Umdeutung, denn dessen Vater verriet seine Ideale ja wirklich nicht
an die Nazis.
Aus dem 6teiligen Zyklus spielt Robi Krebs nun "Annäherung". Er nennt es einen
Versuch der Annäherung zwischen beiden Idealen mit dem Ziel einer Symbiose).
Hans-Martin Thomas widmet sich anschließend der Biografie Marcel Reich-Ranickis
"Mein Leben", aus der er Abschnitte den Zeitraum 1938/39 betreffend liest. Er
gesteht, da ss er den Autor während dessen Zeit als Literaturkritiker im
"Literarischen Quartett" für einen Besserwisser und Nörgler hielt, nach dem
Lesen dieses Buches jedoch seine Meinung gründlich geändert habe und bezeichnet
sich heute als seinen Fan. Nach einem biografischen Überblick liest
Hans-Martin Thomas den Abschnitt aus dem Buch, in dem Marcel Reich-Ranicki den
Zeitraum von 1938/39 erlebt. Er wurde am 8. Oktober 1938 zusammen mit anderen
polnischen Juden nach Polen deportiert, sein "Geburtsland, das sein Exil wurde".
Mitnehmen konnte er nichts, Polen war und blieb ihm fremd, doch er hatte das Wichtigste
im Gepäck: die deutsche Sprache und die deutsche Literatur. Nach der Kriegserklärung
der Alliierten gelingt es ihm und seinem Bruder, Warschau zu verlassen, doch wohin
sie auch kommen: Die Deutschen sind immer schon da. Die Brüder stranden in den
Pripjetsümpfen, wo sie von polnischen Soldaten von der Kapitulation Warschaus
erfahren. Daraufhin beschließen sie zurückzukehren und treffen wirklich ihre
völlig verstörten Eltern zu Hause an.
Äußerst passend nun wieder die Klaviermusik mit dem Titel "Scheiternde Momente"
komponiert und gespielt von Robi Krebs.
"Die Blechtrommel" von Günter Grass, einer der wichtigsten Romane der deutschen
Nachkriegszeit wird von Karin Schrey vorgestellt. Ähnlich wie Grass bezeichnet
auch der Protagonist des Romans Oskar Matzerath, ein Zwerg der mit 3 Jahren
beschlossen hatte nicht mehr zu wachsen, den 1. September 1939 als Ende seiner
Kindheit. Die Aufgabe hatte sie kurzfristig für den erkrankten Fritz Böhner
übernommen, dem sie baldige Genesung wünscht, was von den Besuchern mit Applaus
bekräftigt wurde. Sie erläutert eingängig und engagiert den Roman, in dem der
Protagonist Oskar Matzerath die titelgebende Blechtrommel geschenkt bekommt,
die ihn durch sein ganzes Leben begleitet. Mit der Trommel kommentiert er die
Ereignisse seiner Zeit. Den Kriegsausbruch erlebt er mit seinem biologischen
Vater Jan Bronski in der Polnischen Post in Danzig, wo aus dem Kinderzimmer
voller Spielzeug das Feuer auf die deutschen Schiffe erwidert wird. Während eines
Granateneinschlags gehen alle Spielsachen zu Bruch, nur eine fast unversehrte
Blechtrommel fällt Oskar in den Schoß.
Die folgende Musik soll "von der Liebe" künden, der Pianist Krebs spielt einfühlsam diese
schöne Komposition.
Mit Winston Churchills "Der Zweite Weltkrieg" beschließt Helmut Regenfuß gekonnt
den Literaturabend. Er berichtet über Churchill zur Zeit des Kriegsanfangs.
Zunächst zitiert er aus einer mitreißenden warnenden Radioansprache an die
amerikanische Bevölkerung drei Wochen vor Kriegsbeginn, dann behandelt er aus
Churchills Memoiren dessen Erinnerungen und Anmerkungen zu den Anfangstagen des
Zweiten Weltkrieges. Dabei geht er auch auf die Bedeutung Churchills als Schriftsteller
neben seiner bekannten Rolle als Staatsmann ein. Für seinen Beitrag verwendete
Helmut Regenfuß zusätzlich Churchills "Reden" und "Der Sturm zieht auf" als Quellen.
Zum Schluss bittet Dieter Körber noch einmal alle Teilnehmer des Literaturabends
auf die Bühne und dankt ihnen für ihre ausgezeichnete Arbeit und den Zuhörern für
ihr Erscheinen trotz des widrigen Wetters.
Körber weist noch einmal auf die nächsten Termine des Literaturtreffs hin:
Am 24. Oktober, um 19:30 Uhr, im KUHtelier, einen außerordentlichen Literaturabend
mit dem Titel "Literatur trifft Saxophon", wobei Körber (ausgebildeter Sprecher)
3 kurze Erzählungen liest und die großartige Nicola Piesch das Saxophon erklingen lässt.
Am 31. Oktober, um 19:30 Uhr, im KUHtelier der im Prospekt genannte Literaturabend
"Die Skandinavische Literatur, Wortkunst des Nordens".
Die Gäste haben einen ernsten, jedoch sehr interessanten und wichtigen Literaturabend erlebt.
Dieter Körber