Literaturforum Karben e.V.
Bericht vom Literaturabend, am 06. August 2021:
"Literatur Frankreichs im 19. Jh."
Ort: KUHtelier im Schlosshof von Leonhardi, Groß-Karben
Zeit: 19:30 - 22: 05 Uhr
Anwesende: 50 Personen
Ein furioser Auftakt nach der Corona-Pause im gut besuchten KUHtelier, mit einem
Literaturabend der sich der Literatur Frankreichs im 19. Jh. widmete.
Hans Kärcher hatte ein klug austariertes Programm zusammengestellt mit überzeugenden
Abläufen. Nicola Piesch und Dieter Wierz konnten mit klangreichen, stimmungsvollen
Chansons brillieren und haben dem Abend prickelnde Lichter aufgesetzt.
Nach der Begrüßung der Besucher durch den ersten Vorsitzenden Dieter Körber
übernimmt Hans Kärcher der Organisator des Abendprogramms die Einführung ins
Thema und die weitere Moderation. Hans Kärcher, der gab einen prägnanten Abriss
des geschichtlichen Hintergrundes - sehr hilfreich für das Verständnis der vorgestellten Texte.
Nicola Piesch und Dieter Wierz luden zum Schlendern über die Champs-elysée ein mit
dem Chanson "Aux champs-elysée".
Annette Wibowo stellte den ersten der drei Großschriftsteller vor, die nach dem
Sturz Napoleons und der Restauration der Bourbonenkönige den Übergang aus der -
französischen - Romantik zum Realismus gestalteten. Mit ihrem lebhaften,
temperamentvollen und gekonntem Vortrag ließ sie sowohl Stendhal als auch seinen
Protagonisten Sorel lebendig werden.
Marie-Henri Beyle kam 1783 als Sohn eines königstreuen Anwaltes zur Welt.
Aufgrund seiner Mathematikbegabung hätte er an die "Ecole Mathematic" gehen können,
doch dieser Weg erschien dem jungen Mann nicht das wahre Leben zu sein. Das wahre
Leben erscheint ihm, Theaterstücke zu schreiben und später in den Krieg zu ziehen,
was er mit gerade 17 Jahren unter Napoleon tut.
Er überlebt den Marsch der Armee nach Moskau, erkrankt schon mit 18 Jahren an
einer Geschlechtskrankheit und schreibt unter verschiedenen Pseudonymen. 1830
veröffentlicht er als "Stendhal"- dem Pseudonym unter dem er der Nachwelt in
Erinnerung bleiben sollte - dann seinen ersten großen Roman, "Le Rouge et le Noir" -
"Rot und Schwarz". Die Farbe rot steht für das Militär, die Farbe schwarz für den Klerus.
Der Roman verfolgt die Geschichte von Julien Sorel. Ein ehrgeiziger junger Mann aus
der Provinz. Der Junge ist hochbegabt, jedoch von niederer Herkunft und kann daher
nur über die Kirche gesellschaftliche Karriere machen. Deshalb täuscht er Frömmigkeit
vor. Er macht Karriere und endet doch unter dem blanken Stahl der Guillotine.
Was Stendhal und die Romanfigur Sorel verbindet ist das Verlangen nach Anerkennung
und Selbstverwirklichung.
1842 stirbt Stendhal als Folge der Syphilis an einem Schlaganfall. Stendhal starb
als Adliger, "Monsieur de Stendhal.". Das Adelsprädikat hatte er sich selbst verliehen.
Almut Rose zeichnete mit großer Begeisterung ein Bild des zweiten "Großen".
Honoré de Balzac
wurde am 20. Mai 1799 im südwestfranzösischen Tours geboren
als ältestes Kind eines Rechtsanwaltes.
Wie Stendhal findet er keinen Gefallen an einer akademischen Laufbahn und versucht
sich vergeblich als Journalist, Drucker und Verleger. Seinen luxuriösen Lebensstil
kann er nur durch wechselnde Geliebte aus den besten Kreisen finanzieren.
Berühmt wurde er durch seine "Comédie humaine", einen geradezu gigantischen epischen
Kosmos. In den 88 Romanen beschreibt er mit analytischem Verstand die Repräsentanten
der nachrevolutionären Gesellschaft vom Adligen und Kleriker bis zum Verbrecher und
ihr Milieu. In der Tat gibt er seinen Lesern darin eine plastische Vorstellung vom
Leben in dieser Zeit nach 1789.
Almut Rose gab eine Kurzfassung der 800 Seiten der "Verlorenen Illusionen", in
denen Balzac viel Biographisches verarbeitet. - Übrigens hat sich Balzac ebenso
wie der von ihm erfundene Lucien - und Stendhal - selber nobilitiert.
Der erste Teil des Buches zeigt die Gesellschaft in der Provinz: Madame Bargeton
protegiert den jungen Dichter Lucien und nimmt ihn mit nach Paris.
Der 2.Teil zeigt die Wandlung Luciens vom hehren Dichter zum Journalisten. Er
handelt hauptsächlich vom Verlags- und Pressewesen seiner Zeit. Immer rascher
eignet sich Lucien die Gesetze der Korruption und der Intrige an, bis er genau
diesen Regeln selbst zum Opfer fällt und im dritten Teil kehrt der
"große Mann aus der Provinz" in eben diese Provinz zurück, all seiner Illusionen beraubt.
Victor Hugo ist einer der ganz Großen der französischen Literatur und insbesondere
durch seine beiden Hauptwerke "Notre Dame de Paris" und "Les Miserables" berühmt.
Er stand in Opposition zu Napoleon III, wurde aus Frankreich verbannt und lebte von
1852 bis 1871 auf den Kanalinseln Jersey, später Guernsey im Exil. Wir hörten das
Gedicht "Un Rêve - ein Traum", vorgetragen von Herbert Schuch in französischer und
deutscher Sprache und mit stimmungsvoller Musik begleitet von Dieter Wierz am
Klavier - ein neues begeisterndes Format.
Gustave Flaubert wurde 1821 als Sohn eines Arztes geboren und begann seine ersten
dichterischen Versuche schon als Gymnasiast. Er studierte Jura, widmete sich aber
von 1844 bis zu seinem Tod 1880 auf dem Familienbesitz bei Rouen seinem literarischen
Werk. Nur in der "Education Sentimentale"- "Lehrjahre des Herzens" sind persönliche
Erlebnisse dichterisch eingekleidet.
Deshalb stellte uns Barbara Metz in ihrer gewohnten ruhigen sehr einfühlsamen
Art dieses Buch vor.
Das Werk schildert die Zustände in der Zeit des Bürgerkönigs Louis Philipp und
erzählt die Geschichte einer Desillusionierung,
Flauberts Blick auf die großen Erwartungen und großen Gefühle seiner Figuren ist
nüchtern und ironisch zugleich und die Sprache von einer matt glänzenden Lakonie.
Frédéric Moreau, der junge Mann, der aus der Provinz nach Paris aufbricht, voller
Pläne, die er nicht umsetzt und gebannt von der unerfüllten Liebe zur verheirateten
Madame Arnoux sieht am Ende des Romans die lebenslang begehrte, nie erreichte Frau
wieder, sie scheint bereit, sich ihm hinzugeben; er jedoch weicht zurück, aus Angst
vor Entweihung, Enttäuschung oder auch ihrem weiß gewordenen Haar.
Die Zwischenmusik "La mer" stimmte schon ein auf den nächsten Stern an Frankreichs
Literatenhimmel: Charles Baudelaire, der größte Lyriker aus unserer Liste der
"großen Franzosen" des 19ten Jahrhunderts.
Er hat mit seinen Gedichten in Europa die Moderne eingeleitet und auch großen
Einfluss auf die deutsche Lyrik genommen. Es seien hier nur Rainer Maria Rilke
und Stefan George erwähnt, die Teile der "Fleur du Mal" ins Deutsche übersetzt
haben. Die meisten der Gedichte sind sehr vielschichtig und auf diese oder jene
Weise zu übersetzen oder zu interpretieren.
Claudia Weishäupl musste in der Schule im Französischunterricht ein Gedicht von
Baudelaire auswendig lernen, kann es immer noch und trug es nun auswendig vor in
Französisch und las es dann in deutscher Übersetzung.
Hans Kärcher wählte ein eher weniger typisches Gedicht, das sich mit Erinnerungen
an Kindheit und Mutter beschäftigt und las es auf Deutsch
Unter den Klängen des Edith Piaf Chansons "Non je ne regrette rien" -wunderbar
klangvoll mit Temperament interpretiert von Nicola Piesch - gehen die Besucher in die Pause.
Mit "La vie en rose" werden sie ebenso klangreich zum zweiten Teil des Abendprogramms empfangen.
Es geht weiter mit Alphonse Daudet. Etwa zur gleichen Zeit, als Charles Baudelaire
die "Fleur du Mal" schrieb, zog sich Alphonse Daudet aus dem von Georges-Eugene
Haussmann unter Napoleon III umgestalteten "Moloch" Paris in die Provence zurück
und schrieb seine "Briefe aus meiner Mühle". Die widmete er den Menschen seiner
provenzalischen Heimat, oft schrullig aber immer liebenswert. Helmut Regenfuß las
äußerst lebhaft und komödiantisch die Geschichte "Das Elexier von Hochwürden pater Gaucher".
In der Geschichte von Pater Gaucher, wird von seinem Bemühen erzählt, sein Kloster
zu retten und wie er dadurch zum Alkoholiker wird. Es ist recht lustig, weckt aber
auch menschliches Mitgefühl.
Helmut Regenfuß wollte damit einen Kontrapunkt zu den "Giganten" setzen und sich
mit Einfachem begnügen. Mit feinen Humor ist ihm das brillant gelungen.
1870 provozierte Bismarck mit seiner "Emser Depesche" den "Operettenkaiser"
Napoleon III so, dass dieser Preußen den Krieg erklärte. Wie dieser ausging,
ist bekannt. Einer der ersten Schriftsteller, dessen Leben durch diesen Krieg
nachhaltig verändert wurde und der sich mit dieser Katastrophe in Frankreich
literarisch auseinandersetzte, war Guy de Maupassant, ein Schüler von Flaubert.
Er wurde am 5. August 1850 in Tourville sur Arque in der Normandie in eine neuadlige
Familie geboren, begann in Paris ein Jurastudium, das er nach seiner Kriegsteilnahme
nicht fortsetzte, sondern als kleiner Ministerialangestellter arbeitete bis er von
seinen Erzählungen leben konnte. Er starb in einer psychiatrischen Klinik an Syphilis
mit knapp 43 Jahren. Die Menschen und ihr Umfeld genau zu beobachten und für das
Gesehene den genauen sprachlichen Ausdruck zu finden, war seine große Leidenschaft:
"Was immer man sagen will, es gibt nur ein Wort, um es auszudrücken, nur ein Verb,
um es zu beleben, nur ein Adjektiv, um es zu qualifizieren. Also muss man suchen,
bis man dieses Wort, dieses Verb und dieses Adjektiv entdeckt und sich nicht mit dem Ungefähr begnügen."
Rosi Kärcher gefielen seine Geschichten schon als sie noch studierte und sie erzählte
uns von "Toine": In der Normandie, in einem winzigen Dorf betrieb Toine zusammen
mit seiner Frau eine Wirtschaft. Er, sein Humor und sein "Brändel" waren weithin
bekannt und auch nach einem Schlaganfall, der ihn gelähmt ans Bett fesselte
versammelten sich Freunde und Gäste um sein Bett, um dem Spaßvogel Toine nahe
zu sein. Ein Freund machte ihm den Vorschlag, er solle doch die Eier ausbrüten,
die seine Frau den Legehennen unterlegte, in seinem Bett sei es doch warm und kuschelig.
Und auch wenn er bettelte und fluchte, es half nichts und die ganze Umgebung
verfolgte mit großem Interesse das Geschehen. Tatsächlich schlüpften bei der Henne
nur 7 und bei ihm alle 10 Küken. Was für ein Triumph.
Der 1840 als Sohn eines naturalisierten Italieners und einer Französin geborene und
1902 verstorbene Émile Zola dürfte der unbestrittene Meister des französischen
Naturalismus sein. Er war der wohl meistgelesene Autor seiner Zeit. Neben seiner
schriftstellerischen Tätigkeit war Zola immer auch als politischer Journalist
unterwegs und kämpfte für soziale Gerechtigkeit. 1897 nahm er in einem flammenden
Zeitungsartikel zu den antisemitischen Vorgängen rund um den wegen Landesverrats
unschuldig verurteilten Offizier Alfred Dreyfus Stellung. Die Veröffentlichung
seines "J'accuse!", ein offener Brief an den Präsidenten der Republik, gilt als
die Geburtsstunde des "engagierten Intellektuellen" moderner Prägung.
Unser Vorsitzender Dieter Körber las mit schauspielerischem Gestus diesen
eindringlichen Aufruf an die Menschlichkeit. Ein wahres Ausrufezeichen an diesem Abend.
Die Gäste waren gebannt und ihre Gesichter entspannten sich erst als Nicola Piesch
"Les feuilles mortes" sang.
Mit Dank an die Vortragenden, Blumen für die Sängerin und guten Wünschen für die
Besucher beschließt Dieter Körber den fesselnden, unterhaltsamen Literaturabend und
zu den Klängen von "L'important c'est la rose" verabschieden sich die Gäste.
Als nächstes Highlight das traditionelle Sommerfest "Jazz und Literatur"
am Samstag, 11.09.2021 im luftigen Zelt im Hof des KUHtelier.
Es spielt die fetzige swingende Band "Jazz for Friends"
Die Band spielt ab 17 Uhr, das allgemeine Programm beginnt um 18:00 Uhr.
Eintritt 15,00 Euro, Mitglieder 10,00 Euro. Karten an der Abendkasse und im
Vorverkauf bei der Karbener Buchhandlung Kling, Luisenthaler Str. 3-5, 61184 Karben.
Die Besucher benötigen entweder einen Impfnachweis oder ein Genesungsattest oder
einen aktuellen Negativtest.
Almut Rose