Thema: Literatur der östlichen Nachbarn
Ort: KUHtelier
Zeit: 19.35 – 22.15Uhr
Anwesende: 20 Personen
Nach der Sommerpause begrüßt Herr Thomas die Anwesenden zu unserem Thema „Literatur der östlichen Nachbarn“.
Herr Axt hat den Abend vorbereitet und wird ihn moderieren. Als besonderen Gast begrüßt er Frau Adela Vojackova, eine Jurastudentin aus der Partnerstadt Krnov in Tschechien.
Das erste Nachbarland ist Polen. Herr Axt stellt uns die polnische Dichterin Wislawa Szymborska vor (1923 – 2012). Sie studierte polnische Literatur und Soziologie, war bis 1966 Mitglied der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und engagierte sich in den 80er Jahren im oppositionellen Untergrund der Solidarnosc. Bis 1981 war sie Mitarbeiterin der Krakauer Literaturzeitschrift. Diese Lyrikerin wurde „der gute Geist Polens“ genannt. Ihre Gedichte sind feinsinnig, voller Emotionen und poetischer Bilder, teilweise auch ironisch. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, auch mit dem Nobelpreis für Literatur (1966). Ein Bestseller in Polen ist ihr Gedichtband Der Augenblick. Wir hören einige Gedichte: Der Augenblick, Gleichnis, Aus Erinnerungen, Fotografie vom 11. September.
Ergänzend trägt Herr Manfred Schreiner Szymborskas Gedicht Das Wasser vor. Es beschreibt den wunderbaren Weg und die Aufgaben des Wassers.
Fritz Böhner widmet sich der jungen polnischen Autorin Sylwia Chutnik (geb. 1979) Sie studierte Kulturwissenschaften und schreibt gesellschaftskritische Bücher. Ihr Buch Weibskram enthält vier Erzählungen. In der Geschichte Meldegängerin beschreibt sie die Zustände in einem staatlichen Gesundheitszentrum und die Leiden der Kranken. Der zweite Text heißt Irrtümer und schildert das Leben des allein stehenden, gepflegten Herrn Marian, der handwerkliches Geschick hat und wunderbar backen kann, aber nicht als ganzer Kerl anerkannt wird.
Nach dem Stück Rosza , gespielt von Frau Hoffarth auf dem Akkordeon, schildert Herr Axt das Leben der Schönen Frau Seidenmann , ein Buch von Andrezej Szczypiorski (1928-2000). In 21 Episoden schildert der Autor eine Reihe von Schicksalen. Frau Seidenmann ist eine polnische Jüdin, allerdings ist sie blond, blauäugig und christlich. Dies wird von dem jüdischen, tief gläubigen Schneider Kuyowski sehr kritisch gesehen.
Das 2. Nachbarland ist Tschechien.
Unser Gast, Frau Vojackova, beschäftigt sich mit Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung. Franz Kafka (1883-1924) lebte in Prag, das damals das Zentrum der Literaten war. Er war Jurist und schon in jungen Jahren entwickelte sich die lebenslange Freundschaft zu Max Brod, mit dem er zahlreiche Reisen unternahm. Seine angeschlagene Gesundheit erforderte häufige Kuraufenthalte. Seine Werke sind beeinflusst durch das ambivalente Verhältnis zu seinen Eltern, und zeigen pessimistische Züge. In der Erzählung Die Verwandlung beschreibt er die Vernichtung des Sohnes durch die Eltern. Der Sohn entzieht sich den elterlichen Einflüssen durch die Verwandlung in einen Käfer.
Auch aus Tschechien kommt Milan Kundera. Herr Böhner stellt uns sein Buch Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins vor. Kundera (geb. 1929) studierte Musik und Literaturwissenschaften. Im Prager Frühling 1968 war er eine Gallionsfigur. Da seine Werke wegen Kritik am Kommunismus nicht mehr verlegt wurden, zog er 1978 nach Paris, wo er noch heute lebt. 1984 erschien Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Dem totalitären System wird hier in wunderbarer Weise die Liebe entgegengesetzt.
Mit Vaclav Havel (1936 – 2011) hat sich Herr Enslin ausein-andergesetzt. Er erklärt, dass es sehr schwierig ist, Bücher von Havel zu finden. Als Sohn bourgeoiser Eltern wird ihm ein Studium verweigert. Er arbeitete am Theater und schrieb selbst Stücke. Zentrales Thema seiner Schriften sind die Gefah-ren totalitärer Machtansprüche für Individuum und Staat. Dabei verwendet er oft schwarzen Humor als Mittel gegen Angst. Er war Mitbegründer der Menschenrechtsbewegung Charta 77,worauf er wegen staats-feindlicher Aktivitäten wiederholt verhaftet wurde. 1989 war er Mitorganisator einer Gedenkveranstaltung für Jan Palach, der sich selbst verbrannt hatte, erneute Inhaf-tierung. Im Dezember 1989 wude er einstimmig zum ersten nicht-kommunistischen Staatspräsidenten der CSSR gewählt. 2003 trat er von seinem Amt zurück. Während seiner Amtszeit hat er die Demokratisierung des Landes vorangetrieben und war Verfechter der deutsch-tschechischen Aussöhnung.
Das dritte deutschsprachige ‚Nachbarland’ ist Ungarn.
Frau Enslin erzählt über Sandor Marai (1900-1989), dessen bedeutendstes Werk Die Glut heißt. Er entstammte einer liberal-konservativen ungarischen Familie, die nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1919 nach Deutschland übersiedelte. Marai studierte Journalistik und arbeitete bei der FAZ, zeitweise war er Korrespondent in Paris. 1928 kehrte er zurück nach Ungarn und schrieb Lyrik, Prosa und zahlreiche Gesellschaftsromane. 1948 verließ er wieder Ungarn, weil die Werke dieses jüdischen Schriftstellers verboten wurden. 1957 wanderte er aus nach Kalifornien. Nach dem Tod seiner Frau und seines Stiefsohnes verfiel er in Depressionen und nahm sich 1989 das Leben. Bekannt wurde er erst nach seinem Tod, als Ungarn Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war.
Zum Schluss erfreut uns Herr Axt mit Minutennovellen von Istvan Örkeny. Es sind kritische , ironische kurze Geschichten. Örkenys Motto war: Es lebe das Fragezeichen, vernichtet sei der Punkt. Wir hören drei Novellen „Optische Täuschung, Ins Poesiealbum, Die Hoffnung stirbt nie“.
Frau Hoffarth hat uns auf dem Akkordeon temperamentvolle und einfühlsame Stücke gespielt – eine Bizerka, ein jüdisches Stück und einen ungarischen Czardas.
Herr Thomas dankt allen Aktiven für den interessanten Abend und weist auf den nächsten Termin hin:
26. September 2012
mit dem Thema Heinrich Heine
Renate Gasser