Karbener LiteraturTreff e.V.
Bericht vom 26. Juli
Hermann Burger und Elfriede Jelinek
Ort: KUHtelier, Groß Karben, im Schlosshof von Leonhardi
Zeit: 19.05 - 21:40 Uhr
Anwesende: ca.35 Personen
Hans-Martin Thomas begrüßt die Gäste zu diesem Abend. Heute dreht sich alles
um zwei besondere Poeten, nämlich um Hermann Burger und Elfriede Jelinek.
Vorbereitet haben diesen Abend Almut Rose, sie widmet sich Elfriede Jelinek,
und Hans Kärcher stellt Hermann Burger vor.
Besonders herzlich begrüßt er Herrn
Andriy Lisovskyy, der uns auf seinem Knopfakkordeon wunderbare Stücke spielt ,
wie z.B. Narcissus, Tarragona, Über die Prärie. Herr Lisovskyy ist in Odessa
geboren und arbeitet seit 2010 an der Musikschule Alzey-Worms. Außerdem dirigiert
er das Akkordeon-Orchester in Rüsselsheim.
Almut Rose stellt uns Elfriede Jelinek vor. Die österreichische Schriftstellerin
wurde am 20.10.1946 in Mürzzuschlag(Österreich) geboren. Nach langer Krankheit
starb der Vater 1969 in geistiger Verwirrung. Als Buchhalterin verdiente die
Mutter den Lebensunterhalt und schickte Elfriede in eine Klosterschule, wo sie
eine musikalische Ausbildung erhielt und mit 13 Jahren im Wiener Konservatorium
aufgenommen wurde. Nach der Matura hatte sie einen völligen Zusammenbruch, 1967
begann sie zu schreiben. 1974 trat sie der KPD bei und heiratete Gottfried Hüngsberg.
Erwähnt sei ihr Buch Die Kinder der Toten, das 1950 pünktlich zum 50. Jubiläum des
2. Weltkrieges erschien. Am Anfang steht ein Busunfall, doch es geht nur um die
Aufräumarbeiten, nicht um die Ursache, gemeint ist das Wegschaffen der Leichenberge
im Holocaust. 2004 erhielt sie dafür den Literaturnobelpreis. Das Buch umfasst
alle Themen aus Jelineks literarischem Werk - Kritik an den Arbeits- und
Geschlechterverhältnissen, an Rassismus und Antisemitismus und Engagement gegen
rechtspolitische Tendenzen. In ihrem Drama Am Königsweg setzt sie sich kritisch
mit der Person Donald Trumps auseinander, obwohl nicht einmal sein Name im Text
erwähnt wird. Im Schauspiel Frankfurt wurde es aufgeführt mit Comic- und Fantasyfiguren,
die alle Themen sarkastisch und provokativ beleuchten. Ich liebe Österreich ist
ein Theaterstück montiert aus Texten von Asylanten. Im Jahr 2000 entstand vor einem
rechtspopulistischen Hintergrund Schlingensiefs satirisches Theaterprojekt
"Bitte liebt Österreich". Für dieses Projekt übernahm E. Jelinek zusammen mit G. Gysi
die Schirmherrschaft. 12 Asylbewerber spielen Stehgreiftheater in einem Container
neben der Wiener Oper. Jelinek lässt spontan die Migranten alle deutschen Sätze
aufschreiben, die sie kennen und montiert daraus ein Kasperletheater. Mit
wunderschönen Kasperlepuppen wird dieses Stück heute Abend aufgeführt.
Fritz Böhner stellt das Buch Die Klavierspielerin vor. Die 36jährige Erika lebt
mit ihrer Mutter in einer Wohnung. Die Mutter trimmt sie zur Pianistin und
kontrolliert sie vollständig. Eines Tages verliebt sie sich in ihren Schüler Erich,
dem sie ihre ungewöhnlichen sexuellen Wünsche offenbart. Schließlich vergewaltigt
Erich sie, worauf sie ihn mit einem Messer ersticht.
Jelinek hat 1980 auch ein
eigenständiges Drehbuch geschrieben, Eine Partie Dame, das in Vergessenheit geriet
und jetzt wieder als Buch herausgegeben wurde. Almut Rose fasst das Geschehen zusammen.
Es ist ein Agententhriller, der Ende der 70er Jahre in Wien spielt, das auch heute
noch eine Drehscheibe für Spione von Ost und West ist. Andzrej, als Kneipenwirt getarnt,
verschiebt Microchips hinter den eisernen Vorhang und ist ein echter Held, charmant,
verlässlich und sehr sympathisch, obwohl er eigentlich der "böse Bube" ist. Lisa
dagegen, die kühle Blondine, wird als kindlich unschuldige, manchmal berechnende
sex- und herrschsüchtige "Grand-Dame" geschildert. In einer szenischen Lesung,
die in einem Bürohaus spielt, werden die beiden Charaktere deutlich.
Den Schweizer Schriftsteller Hermann Burger (1942 - 1989) stellt uns Hans Kärcher
vor. Burger wurde am 10.7.1942 in Menzinken geboren. Er wuchs in einem gutbürgerlichen
Haus mit zwei jüngeren Schwestern auf. Schon früh zeigte sich seine künstlerische
Begabung. Als Jugendlicher spielte er in einer Jazz-Combo. Nach dem Studium der
Kunstgeschichte und Germanistik war er ab 1975 Privatdozent für deutsche Literatur.
Zunehmend plagten ihn Depressionen, was dazu führte, dass er seinem Leben 1989 mit
einer Überdosis Schlaftabletten ein Ende machte.
Dieter Körber kennt Hermann Burger persönlich und schätzt seinen hintergründigen
Humor, seine Ironie und seine brillante Wortakrobatik. Der Schriftsteller war mit
Thomas Bernhard befreundet und wollte ihn eines Tages besuchen. "Zu Besuch bei Thomas Bernhard"
hat Dieter Körber vorgelesen. Er kann seinen Freund Bernhard schwer erreichen,
es gibt keinen Telefonanschluss, das Tor ist geschlossen. Erst beim siebten Mal
erreicht er seinen Freund, der ihm mit Hexenschuss die Tür öffnet. Nach einem
kurzen Gespräch verabschiedet er seinen Freund mit den Worten, er freue sich auf
den nächsten Besuch. Die Wasserfallfinsternis von Badgastein, ebenfalls vorgestellt
von Hans Kärcher, erzählt von einem Ich, das an einer unheilbaren Krankheit leidet,
von der es in Badgastein Linderung erhofft. Es lässt sich als Nachtportier in
einem Hotel anstellen. Gleichzeitig fahndet er nach einem verschollenen Werk Schuberts.
Plötzlich versiegten die Wasserfälle von Badgastein und in der einsetzenden Stille
war das Ich in der Lage, die Symphonie nachzukomponieren. Mit dieser Erzählung gewann
Burger 1985 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Zur Ergänzung hörten wir noch ein Eichendorff-Gedicht über Badgastein.
Die Erzählung Das Mittagessen hat Rosie Kärcher vorgestellt. Hermann Burger hat
die Erzählung in Anlehnung an die Johann Peter Hebel-Geschichte geschrieben. Ein
Herr kommt verdrießlich nach Hause und setzt sich an den Tisch. Er nörgelt an allem
herum, was der Diener aufträgt. Einer plötzlichen Idee folgend wirft er die Suppe
in den Hof und meint, der Herr wolle heute in der lauen Frühlingsluft speisen. So
erkannte der Herr seinen Fehler. Auch Burger erzählt von einem Ehepaar, das nach
vielen gemeinsamen Ehejahren sprachlos das Essen verzehrt. Der Mann liest die
Zeitung und achtet kaum auf das liebevoll zubereitete Essen. Sehr verärgert über
die Missachtung möchte die Frau das Geschirr zum Fenster rauswerfen, fügt sich
dann aber doch dem Essensritual.
Dieser interessante Abend über zwei wortgewaltige Sprachpoeten wurde mit Fotos
über Jelinek und Burger veranschaulicht. Mit der Darbietung des Kasperletheaters
"Ich liebe Österreich" wird gezeigt wie die damalige Regierung Schüssel mit den
Asylanten umging.
"Eine Partie Dame" handelt von Wien - im Schnittpunkt der politischen Blöcke in
Ost und West. Hier begegnen sich Andzrej, polnischer Jude und Kommunist, der
Kopf eines Agentenrings, und die Studentin Lisa. Sie, Lisa, erliegt einer
obsessiven Leidenschaft. Er nutzt Sex als Glück für einen Augenblick. Es werden
mit Hilfe einer szenischen Lesung Ausschnitte gezeigt.
Ein herzliches Dankeschön sagt Dieter Körber allen Mitwirkenden, vor allem auch
dem wunderbaren Akkordeonspieler A. Lisovskyy.
Unsere nächste Veranstaltung ist unser
Sommerfest "Jazz und Literatur" am Freitag 10. August 2018
Beginn 19:00 Uhr,
Eintritt 15 € für Nicht-Mitglieder, 10 € für Mitglieder
Renate Gasser