Karbener LiteraturTreff e.V.



Bericht vom Literaturabend, am 27. Juni 2019:
"Karl May, Trivial- oder Weltliteratur?"



Ort: KUHtelier, Groß Karben, im Schlosshof von Leonhardi
Zeit: 19:30 - 23: 30 Uhr
Anwesende: ca. 45 Personen und Pressevertreter

Die Begrüßung der Besucher erfolgte durch den Vorsitzenden, Dieter Körber, der auf ein neues Format des Abends hinwies, es folge nach einer kleinen Pause auf die Lesungen des Abends eine Podiumsdiskussion. Die Diskussion soll die Fragen behandeln "Was ist der Maßstab für Trivial- oder Weltliteratur?" und mit Bezug auf Karl May "Wie haben wir Karl May einzuschätzen?"

Hans Kärcher, der gemeinsam mit Karin Schrey die Organisation des Abends übernommen hatte, führte mit viel Verständnis ins Thema ein und gab einen Überblick, was die Literaturfreunde bewogen hatte, sich mit Karl May zu beschäftigen.

Zunächst natürlich "Winnetou" der edle Wilde, der für mehrere Generationen das Bild der Indianer prägte - von Fritz Böhner mit Humor vorgestellt.

Da der Überraschungsgast noch im Stau hing, begann Hans Kärcher mit Karl Mays Lebenslauf. Als 5. von 14 Kindern einer armen schlesischen Weberfamilie am 25. 2. 1842 in Ernstthal geboren wurde er Lehrer. Durch widrige Umstände geriet er auf die schiefe Bahn und landete im Zuchthaus. Karl May verbrachte mit kleinen Unterbrechungen ca. 8 Jahre im Gefängnis. Er begann zunächst, als Auftragsarbeiten, Kolportageromane zu schreiben. Sein Gesamtœvre gliedert sich in Frühwerk, Kolportageromane, Reise-Erzählungen (in 33 Sprachen übersetzt), Jugenderzählungen, Spätwerk und erreicht eine Gesamtauflage von ca. 200 Millionen.


Die Tatsache, dass Karl May auch komponierte, dürfte bei nicht Wenigen Erstaunen hervorrufen. Martina Riedel präsentierte zur Einstimmung am Piano "Vergiss mich nicht", einen Choral von Karl May, laut seiner Anweisung "mit Innigkeit zu spielen".

Anschließend stellte Hans Kärcher die Reiseerzählungen aus dem Vorderen Orient vor mit Kara Ben Nemsi - alias Karl May und seinem Diener Hadschi Halef Omar.

Aus dem Roman "Durch die Wüste" lässt Barbara Metz mit erstaunlich hoher sprachlicher Einfühlung eine szenische Situation lebendig werden, wo Hadschi Halef Omar versucht seinen Herrn zum Islam zu bekehren. Dieses Kapitel war nicht nur amüsant zu hören, sondern zeigte auch, wie unverkrampft Karl Mays Verhältnis zum Islam war. Besonders eindrucksvoll, wie glatt Barbara Metz die vielen arabischen Worte über die Lippen kamen.

Nach dem eigentlich von Karl May für Männerchor komponierten "Nun gehst Du hin in Frieden" schleppte Hans Kärcher einen wahren Folianten auf die Bühne. Der Buchdeckel in schwarzen verschnörkelten Lettern mit der Aufschrift "Et in terra pax". Dieser Prunkband erschien 1900 zur Verherrlichung des Boxeraufstandes und enthielt auch die "Hunnenrede" Kaiser Wilhelms des Zweiten. Verblüffend war nun, dass Karl May keinesfalls in die Hunnen-Rhetorik Kaiser Wilhelms verfällt, nein - im Gegenteil - dass er gegen den damaligen - (und auch heutigen?) - Zeitgeist anschreibt.
Er schildert in seinen Erzählungen und Romanen mit Achtung und Verständnis sowohl Indianer als auch Moslems. Für die Chinesen und ihre viele Tausend Jahre alte Kultur bezieht er positive Stellung.

Nun erklang eine ganz andere Musik von CD und kündigte den erwarteten Überraschungsgast an: Werner Müller, der Vorsitzende des Studienkreises Oyate für altindianische Kultur aus Ratingen. Dieser Verein unterhält enge Beziehungen zu dem Stamm der Lakota, zu denen auch die Sioux gehören. Herr Müller trug originalgetreu gefertigte Kleidung inklusive einer imposanten Haube aus Adlerfedern, deren Bestandteile und Bedeutung er dem Publikum erläuterte, das ihm interessiert zuhörte und Fragen stellte. Die Pause erschien zu kurz um die vielen neuen Eindrücke miteinander zu besprechen.






Es war daher gut, dass Martina Riedel mit der Polka Mazurka, die Walter Weber Karl May gewidmet und "Nscho-tschi" betitelt hatte, mit Elan zurück auf die Plätze rief.









Karin Schrey widmet sich den Bücher Karl Mays, die in seiner Heimat Sachsen spielen. Aus den frühen Kolportagearbeiten für Münchmeyer erwähnte sie kurz "Das Buch der Liebe, ein Aufklärungsbuch für Erwachsene". Sodann wandte sie sich dem Zyklus "Der verlorene Sohn" zu, hier ging sie näher auf die Kriminalromane "Das Buschgespenst" und "Der Fremde aus Indien" ein, bei dem unverkennbar Parallelen zu Alexandre Dumas "Der Graf von Monte Christo" bestehe. In beiden Romanen setzt er sich kritisch mit der sozialen Lage der Heimarbeiter, Behördenwillkür und Ausbeutung auseinander. Karin Schrey empfahl die Lektüre dieser weniger bekannten Bücher von Karl May als Lektüre für einen Winterabend am Kamin.




Almut Rose führte in die Gegenwart und stellte den 2018 bei Kiepenheuer und Witsch erschienenen neuen Roman über Karl May "Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste" vor. Philipp Schwenke, eigentlich Journalist, gelingt es biografische "wahre" Fakten mit kunstreich erfundenen Figuren und spannenden Geschehnissen zu verknüpfen. 1899 reiste Karl May erstmals in den Orient. Zum einen hatte er jetzt endlich genug Geld, zum anderen begannen einige seiner Leser zu zweifeln, dass er wirklich all die Abenteuer und Reisen erlebt hatte und er schrieb nun Unmengen Postkarten, um dem entgegen zu treten. Aber er musste feststellen, dass Emma recht hatte: Seine zarte Konstitution ist dem Klima nicht gewachsen. Er ist eben doch nicht Kara Ben Nemsi. Er zieht sich in eine Fantasiewelt zurück, weil der wirkliche Orient zu enttäuschend für ihn ist. Am 30. März stirbt Karl May mit 70 Jahren in Radebeul. Klara ist da erst 47 Jahre alt und widmet ihr restliches Leben der Wahrung des Nachlasses.

Als letzten "Karl May" spielt Martina Riedel das "Ave Maria".

Dieter Körber befasste sich zum Schluss mit dem 1963 erschienenen Essay "Sitara und der Weg dorthin" von Arno Schmidt. Schmidt bietet eine akribische detailversessene Studie über Wesen, Gesamtwerk und Wirkung Karl Mays an, eine sehr kritische, aber auch eigenwillige Würdigung, die ihresgleichen sucht. Bereits im Vorwort des Essays trägt Schmidt einen besonderen Kritikpunkt in seinem Essays vor. Schmidt weist akribisch nach, dass bereits die frühen Arbeiten Mays von den Verlegern und Lektoren auf Gefälligkeit getrimmt wurden und Mays Schriften somit verschlimmbessert wurden. Selbst Mays Spätwerke wurden teils verheerend geändert. Schmidt versucht, May Homosexualität nachzuweisen. Er benutzt hierzu ein von ihm, Schmidt, entwickeltes Analyse-System. Eine sogenannte "Etym-Theorie", die darauf beruht die im Klang von Worten unterschwellig mittransportierte. Zweitbedeutung, abweichend von der normativen Aussage, zu erfassen. Leider kommt es hier zu sonderbaren, skurrilen Auslegungen. Gleichzeitig weist Schmidt jedoch nach, dass May intensiv Nietzsche studiert hatte und ihn ebenfalls verschlüsselt in seinem Werk auftreten ließ. Schmidt lieferte mit dieser Erkenntnis einen völlig neuen Punkt für die bis dahin unzulängliche Karl May Forschung. Am Ende seines Essays kommt Schmidt zu der Erkenntnis: (Zitat Schmidt) "Es ist, so gut wie unvermeidlich, Mays frühe und mittlere Bücher, … als läppischen Kitsch, als Erstgeburten eines Esels, zu empfinden - und der Mann war über solchem Treiben immerhin schon 6o geworden. Nur wer sich über die gigantische Sex-Fantastik klar geworden ist, und den Blick unverwandt auf die -Vier Großen, - SILBERLÖWE III und IV, und Ardistan & Dschinnistan 1 u. II - gerichtet hält, wird es am Ende über sich gewinnen können, den Karl MAY des letzten Jahrzehnts als einen achtungswerten, um Kunst & Sinn bemühten Literaten, zu bezeichnen; und dann öffentlich den Antrag auf seine Aufnahme in das große Kontinuum unserer Hochliteratur zu stellen. Daß ich mit so schroffem Tadel und dann wieder, heute noch so überaus befremdlich klingenden, Lobeserhebungen wechseln muss, liegt an MAY's ungewöhnlich ungleichem Niveau."

Das leitete über zu der, nach einer kurzen Pause, folgenden Podiumsdiskussion, mit den Diskutanten Karin Schrey, Almut Rose, Hans Kärcher und Dieter Körber. Als Moderator leitete Michael Rettinger diese Diskussion. Michael Rettinger führt ins Thema ein und stellt fest: zuerst geht es um die Frage, wann spricht man von Literatur im Sinne von Weltliteratur? Er führt aus, dass eine Verlegenheit entsteht, wohl aus einer gewissen Vagheit heraus, die sich immer dann einstellt, sobald es um die Bestimmung dessen geht, was ein literarisches Werk zu einem literarischen Kunstwerk macht. Nicht literarische Texte seien selbstreferentiell, literarische Texte sollen über sich hinausweisen. Dieter Körber erläutert, dass ein literarisches Werk quasi einen doppelten Boden hat, dass es neben dem normativ Gesagten einen tieferen Sinn transportiert. Er führt als Beispiel "Sah ein Knab ein Röslein stehn …" an, wo das normativ Gesagte von dem Gespräch eines Knaben mit einer Rose erzählt, der verborgene Sinn die Verführung einer Jungfrau kündet. Immer wieder kommen von den Diskutanten Karin Schrey und Hans Kärcher Einwände, die die Feststellbarkeit von Welt- oder Hochliteratur bestreiten, oder wenigstens in Zweifel ziehen. Wer legt denn fest, was aus dem Wust von Geschriebenem zu erhaltenswerten Schöpfungen gehört? Almut Rose betont hier die Aufgaben und Arbeiten der Universitäten, die letztlich eine Auswahl der Literatur treffen, die bleibt und, die Zeiten überdauert. Karin Schrey und Hans Kärcher wiederum weisen auf den Erzählwert beispielsweise von Karl May hin. Karl May ist ein Moralist, Sozialkritiker und ein Autor, der mit Hochachtung von fremden Völkern und Eingeborenen schreibt, dies gegen das Denken seiner Zeit. Für Dieter Körber bildet May ein sehr individuelles Beispiel, er ist ein Autor, der erklärtermaßen Schund schreibt, mit einer erschütternden Wortarmut und im Alter die Fähigkeit zeigt, tatsächliche Weltliteratur zu schreiben. Die Diskussion bleibt ergebnisoffen und findet bei den anwesenden Besuchern reichlichen Applaus.

Dieter Körber wendet sich mit einem besonderen Dank an die Organisatoren des Abends Karin Schrey und Hans Kärcher, sowie mit einem Dankeschön an alle Mitwirkenden, die noch einmal auf die Bühne gekommen waren und von den Besuchern mit anhaltendem Beifall verabschiedet wurden.

Unser nächster literarischer Abend findet statt am 25. Juli 2019 mit dem Titel
"Gemeinschaftsveranstaltung des Karbener LiteraturTreff mit dem Poetry Slam Wetterau"
Im KUHtelier, Einlass um 19:00 Uhr, Beginn um19:30 Uhr.
Eintritt Euro 5,00, Kartenvorverkauf, Karbener Buchhandlung Kling, Luisenthaler Str. 3-5.


Almut Rose