Karbener LiteraturTreff e.V.
Bericht vom 28.05.2015
Thema: Deutsche Nachkriegsliteratur
Ort: KUHtelier
Zeit: 19.05 - 21.25 Uhr
Anwesende: ca. 35 Personen und Pressevertreter
Nach der Begrüßung durch H.-M. Thomas übernahm F. Böhner, der den Abend vorbereitet hat,
die Moderation. Inmitten von Trümmern nach dem Kriegsende vor 70 Jahren entwickelten
sich zarte literarische Triebe. In den Trümmern waren Ideale und Sehnsüchte gestorben,
trotzdem entstanden literarische Werke. 1947 schlossen sich junge Männer in der Gruppe 47
zusammen, die als Talentschmiede für junge Literaten galt. Sie wollten sich
inhaltlich und formal absetzen von der traditionellen literarischen Form und
bevorzugten die Kurzgeschichte mit kargen Beschreibungen.
Als Nachkriegsliteratur gelten Werke zwischen 1945 und 1965.
F. Böhner stellt uns Wolfgang Borchert vor (1921 - 1947). Er strebte immer den
Beruf des Schauspielers an. Nach wenigen Monaten in einem Tourneetheater wurde
er 1941 zur Wehrmacht einberufen. An der Front zog er sich schwere Verwundungen
und eine Infektion zu. Wegen staatsfeindlicher Äußerungen wurde er mehrmals
inhaftiert. Er starb mit nur 26 Jahren an den Folgen seiner Leberinfektion.
F. Böhner liest uns die Geschichte "An diesem Dienstag". Borchert schildert
ganz normale Alltagssituationen, z. B. eine Schulsituation, der Chef gibt der
Sekretärin Anweisungen, Leutnant Ehlers wird zum Kommandanten befohlen usw.
H. Walter bringt uns Siegfried Lenz (1926 - 2014) näher. Er war geprägt von
tiefer Demut, Bescheidenheit und Humor, er war immer Pädagoge und Moralist,
aber ohne Zeigefinger. 1943 wurde er zur Marine eingezogen, geriet in britische
Gefangenschaft und arbeitete nach dem Studium als Redakteur bei der Zeitung
"Die Welt".
Er gehörte zum Dreigestirn der wichtigsten deutschen Nachkriegsautoren: Böll, Grass, Lenz.
Er verfolgte den Versöhnungsgedanken mit Polen und war enger Freund von
Altkanzler H. Schmidt. Wir hören die Kurzgeschichte "Die Nacht im Hotel".
Ein Vater macht sich Sorgen um seinen kleinen hochsensiblen Sohn, niemand
winkt ihm aus dem vorbeifahrenden Zug. Der Vater will ihn mit einer List wieder
fröhlich machen. Daher verbringt er eine Nacht im Hotel mit einem unbekannten
Invaliden, der ihn von seinem Plan abbringen will. Am Ende verschläft der Vater
und der Unbekannte winkt seinem Sohn.
W. Enslin stellt uns Hans Fallada (1893 - 1947) vor. Sein richtiger Name war
Rudolf W.F. Ditzen. Gegen den Willen des Vaters schlug er eine landwirtschaftliche
Laufbahn als Gutsverwalter ein. Während der Nazizeit wurde er von Nachbarn
denunziert und kam ins Gefängnis. Außerdem erhielt er Schreibverbot, da er sich
mit der vorangegangenen Weimarer Republik beschäftigt hatte. Diese Erlebnisse hat
er in seinem letzten Buch "Jeder stirbt für sich allein" niedergeschrieben.
Das Buch wurde verfilmt, ebenso Der Eiserne Gustav, Kleiner Mann, was nun ….
W. Enslin referiert den Inhalt des Buches "Jeder stirbt für sich allein".
Ein Berliner Ehepaar wagt einen aussichtslosen Widerstand gegen die Nazis,
nachdem ihr einziger Sohn im Krieg gefallen war. Ihre Wut auf das Regime
dokumentierten sie auf ausgelegten Postkarten. Das Ehepaar wurde erwischt und
wegen Hochverrat 1943 hingerichtet. Fallada erfuhr von diesem Schicksal aus einer Gestapo-Akte.
R. Axt stellt uns Heinrich Böll (1917 -1985) vor. Er erlebte den Krieg als
Gefreiter bei der Infanterie und hasste das Soldatenleben abgrundtief. Daher
wurde er nach dem Krieg Pazifist und kritischer Interpret der Zeitgeschichte.
Sein Aufstieg als Schriftsteller begann 1951 mit einem Preis der Gruppe 47.
Die katholische Kirche kritisierte er scharf, was er in Ansichten eines Clowns
(1965) thematisiert. 1979 trat er aus der katholischen Kirche aus.
R. Axt liest Auszüge aus Kriegsbriefen an seine Frau und einen Brief von 1958
an einen jungen Katholiken. 1972 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
F. Böhner hat den Autor Wolfdietrich Schnurre (1920 - 1989) gewählt. In Frankfurt
geboren, zog er mit seinem Vater, einem Ornithologen, nach Berlin. Während des
Krieges 1939 - 1945 war er Soldat und lebte nach Kriegsende wieder in Berlin.
Dort arbeitete er als Film- und Theaterkritiker für Zeitungen, ab 1950 war er
freier Schriftsteller und Mitbegründer der Gruppe 47. Seine Kurzgeschichte
"Das Begräbnis", war der erste Text, der bei der Gründung der Gruppe 47 gelesen wurde.
Diese Kurzgeschichte liest uns auch F. Böhner vor. Sie hat folgenden Inhalt:
Es klingelt, doch niemand steht vor der Tür. Der namenlose Erzähler hört eine Stimme
und findet einen Brief, der nach Weihrauch riecht. Darin eine Todesanzeige: Von
keinem geliebt, von keinem gehasst, starb nach langem, mit himmlischer Geduld
ertragenen Leiden : GOTT. Unter allgemeiner Anteillosigkeit findet die Beisetzung
bei strömendem Regen statt.
Erich Kästner (1899 -1974) wird von C. Weishäupl vorgestellt. Kästner war Drehbuchautor,
Schriftsteller und Kritiker. Aus dem 1. Weltkrieg kehrte er mit einem Herzleiden zurück.
Neben seiner Arbeit bei verschiedenen Zeitungen veröffentlichte er ab 1929 seine
Kinderbücher. Im 2. Weltkrieg wurde er wiederholt von der Gestapo verhaftet und
erhielt ab 1942 totales Schreibverbot. In ihm steckte eine tiefe Skepsis und mit
zunehmendem Alter fehlte ihm die Freundlichkeit, er wurde sarkastischer. Wir hören
die Geschichte "Über den Tiefsinn im Parkett". Während eines schlechten
Theaterstücks wundert sich Kästner über die Kritiklosigkeit des Publikums.
Auch in seinen Gedichten spürt man den Sarkasmus, der in Humor verpackt ist. C. Weishäupl
liest noch folgende Gedichte "Das letzte Kapitel, Kennst du das Land, wo die
Kanonen blühn, Die Entwicklung der Menschheit, Die Ballade vom Nachahmungstrieb".
Walter Enslin beendet den Abend mit dem Antikriegslied "Sag mir, wo die Blumen sind".
Mit einem herzlichen Dankeschön von H.-M. Thomas an alle Aktiven geht dieser
Abend zur Erinnerung an die Nachkriegszeit zu Ende.
Unser nächster Abend findet statt am Donnerstag, dem 25. Juni 2015 um 19:00 Uhr
Im KUHtelier und ist der Königin der Blumen gewidmet:
Rosen in der Literatur
Renate Gasser