Karbener LiteraturTreff e.V.
Thema: Literaten aus der Ex-DDR
Ort: Gaststätte "Bei Anna"
Zeit: 19.35 - 21.50 Uhr
Anwesende: 17 Personen
Herr Thomas begrüßt alle Anwesenden und freut sich über neue Gäste. Nach seiner
Begrüßung beginnt er mit einem Überblick über die DDR-Literatur, gemeint ist
die Literatur in der Sowjetischen Besatzungszone seit 1945. Alle literarischen
Werke wurden durch offizielle Äußerungen der SED beeinflusst. Man kann vier
Phasen der DDR-Literatur definieren. In den 1950er Jahren befasste sich die
Aufbauliteratur mit der Entstehung großer Industrieanlagen und dem heldenhaften
Engagement der Arbeiter. In den 1960er Jahren sprach man von Ankunftsliteratur.
Die SED-Regierung gewährte zunächst mehr Freiheiten in der Kulturszene, die
aber ab 1965 wieder stark eingeschränkt wurden. In den 1970er Jahren folgte
eine Epoche der Liberalisierung. Honecker versprach ein Liberalisierungsprogramm
für Kunst und Kultur, solange die Basis des Sozialismus gewährleistet war.
In den 1980er Jahren entstand eine Untergrundliteratur in Ostberlin. Junge
Schriftsteller veröffentlichten ihre Werke in kleinen Auflagen und gaben private Lesungen.
In dem Artikel von A. Cammann "Im Osten ging die Sonne auf" beschreiben
westdeutsche Autoren die DDR als "seelisches Konsumparadies", während im Westen
immer neue minderwertige Romane auf den Markt geworfen wurden. Im Osten verhinderte
allerdings die Zensur Werke und zerstörte Autoren. Die Texte der Autoren spiegeln
Kämpfe und Resignation gegen Politik und Staatssicherheit.
Frau Mainert stellt uns das Gedicht "Kinder" von Bettina Wegner vor. 1947 in
West-Berlin geboren, zog sie mit ihren Eltern, die überzeugte Kommunisten waren,
nach Ost-Berlin. Sie studierte an der Schauspielschule Berlin, wurde nach Verteilung
von Flugblättern inhaftiert, holte nach der Entlassung ihr Abitur nach und trat
verbotenerweise als Sängerin auf. Ab 1978 wurde sie mit ihren Gedichten und
Liedern weltbekannt. 1983 flüchtete sie nach West-Berlin, 2007 gab sie ihre
Abschiedstournee. Gedicht und Song "Kinder" ist eine Fürsprache für die Wertschätzung der kleinen Kinder.
Herr Axt erzählt uns von Eva Strittmatter (1930 - 1911) vor. Die Germanistin
heiratete den 18 Jahre älteren Erwin Strittmatter und lebte mit ihrem eigenwilligen
Mann auf einem Bauernhof in der Nähe von Berlin. Sie erzog vier Söhne und fing an,
heimlich Gedichte zu schreiben. Sie verfasste außerdem Kinderbücher und Romane.
Ihre Themen bezogen sich auf die alltäglichen Sorgen und Nöte der Menschen, dadurch
wurde sie äußerst beliebt. Die Strittmatters waren das bekannteste
Schriftstellerehepaar der DDR. Einige Gedichte hören wir von H. Axt.
"Freiheit (Beziehung zum Mann), Werte (Liebe, Glück und Freude sind kostenlos),
An meinen 18jährigen Sohn (Gedanken über Erziehung), Legenden, Nachsatz".
Herr Enslin referiert über Ehm Welk (1884-1966). Ehm Welk arbeitete als
Redakteur und Chefredakteur bei verschiedenen Zeitungen, war Soldat in Mazedonien
und schrieb Antikriegsgeschichten, 1923 überquerte er den Atlantik als Seefahrer,
reiste durch Südamerika, 1934 kurzzeitige Inhaftierung im KZ Oranienburg wegen
Kritik am Faschismus, lebte ab 1950 in Bad Doberan und schrieb Romane über das
Leben der ‚kleinen Leute' sowie Tierbücher. Sein bekanntestes Buch, das auch
verfilmt wurde, heißt "Die Heiden von Kummerow". Es ist eine deutsche Form von
Don Camillo und Peppone - die Kinder setzen dem Müller mit vielen Streichen zu
und der Pastor Breithaupt will die Kinder zu frommen Christen erziehen. Weitere
Titel von Ehm Welk sind "Geliebtes Leben, Jugend, Die Flüsterer".
Herr Thomas hat sich mit Günter de Bruyn beschäftigt. Er wurde 1926 in Berlin
geboren, 1943-45 Soldat in der Tschechoslowakei, amerikanische Kriegsgefangenschaft,
danach Ausbildung zum Lehrer, später Ausbildung zum Bibliothekar, zeitweise Dozent,
seit 1961 freier Schriftsteller, Mitglied im Vorstand des Schriftstellerverbandes
der DDR. 1989 verweigert er die Annahme des Nationalpreises der DDR wegen Intoleranz
und Starre der Regierung. Sein Werk besteht aus autobiografisch gefärbten,
realistischen Romanen, die sich kritisch mit dem Leben der ‚Kulturschaffenden'
der DDR auseinandersetzen. Sein Buch "Vierzig Jahre" beschreibt sein Leben im
Alter von 23 - 63 Jahren. (Für seine Werke erhielt er schon 21 Literaturpreise.)
Herr Axt berichtet über Johannes Bobrowski (* 1917 in Tilsit + 1965 in Berlin),
ein Lyriker, Erzähler und Nachdichter. Er studierte Kunstgeschichte in Berlin.
Als Angehöriger der Bekennenden Kirche hatte er Kontakt zum christlichen Widerstand
gegen den Nationalsozialismus. Im 2. Weltkrieg war er Gefreiter im Nachrichtenregiment,
war in russischer Gefangenschaft von 1945-1949, danach arbeitete er als Lektor
bei verschiedenen Verlagen. Ab 1955 veröffentlichte er Gedichte. Er verstand sich
als deutscher Dichter für Ost- und Westdeutschland. Internationalen Durchbruch
erlangte er mit dem Preis der Gruppe 47. In seinem Gedichtband "Sarmatische Zeit"
schrieb er magisch-mystische Verse im freien Rhythmus zum Thema Sehnsucht.
Wir hören die Gedichte "Kindheit, Kaunas 1941, Bericht, Holunderblüte".
Der Briefwechsel (1963-1965) zwischen Bobrowski und Michael Hamburger gewährt
Einblick in einen freundschaftlichen Gedankenaustausch über familiäre Situationen
und den Austausch von Gedichten.
Herr Enslin begleitete den Abend mit zwei Liedern - von Bettina Wegner
"Alltag in der DDR" und von Wolf Biermann "Ermutigung".
Mit einem herzlichen Dank an alle Vortragenden verabschiedete Herr Thomas
alle Gäste und wies auf den nächsten Literatur-Treff hin, der am
Mittwoch, dem 30. Mai 2012
zum Thema "Dialekte"
im KUHtelier stattfindet.
Renate Gasser