Obere Reihe von rechts: Barbara Metz, Dieter Körber, Hans Kärcher; mittlere Reihe von rechts: Almut Rose,
Rosie Cordsen-Enslin; untere Reihe von rechts Helmut Regenfuß, Robert Axt.

Bericht von einem gelungenen virtuellen Vorprogramm:

Italien - Land der Dichter


Ein virtuelles Treffen von Literaturbegeisterten mit dem Videokonferenzdienst Zoom
Donnerstag 4. März 2021
Beginn: 19:30 Uhr, Ende: 22:00 Uhr
Mitwirkende:
Dieter Körber, Hans Kärcher, Almut Rose, Helmut Regenfuß, Rosie Cordsen- Enslin,
Robert Axt, Barbara Metz.

Gäste:
Nicola Piesch, Rosemarie Plewe, Karin Schrey, Claudia Weishäupl,
Michael Rettinger, Hans Georg Schrey, Hans Martin Thomas, Onno Wicharz.


Der Vorsitzende Dieter Körber, begrüßt die Gäste zum coronabedingt virtuellen Versuch den schwierigen Zeiten einen Literaturabend abzutrotzen. Schon im Anfang unseres Berichtes sei festgestellt es ist uns gelungen, nicht zuletzt durch die umsichtige technische Organisation von Hans Kärcher.

Die Moderatorin Almut Rose gibt einen kurzen Abriss der Geschichte der italienisch sprachigen Literatur und stellt dann den Dichter Giuseppe Tomasi di Lampedusa vor.

1896 als Sohn fürstlicher Eltern geboren konnte er sich ganz seiner Leidenschaft für die Literatur widmen. Eigene literarische Werke hat er jedoch bis zu seinem 58. Lebensjahr nicht verfasst, jedenfalls nie vollendet und nie veröffentlicht.
Als er am 23. Juli 1957 in Rom an Lungenkrebs starb, wusste er nicht einmal, ob sich überhaupt ein Verlag bereitfinden würde, seinen Roman "Der Leopard" zu veröffentlichen. Helmut Regenfuß vermittelt die Kernhandlung des Romans anhand klug ausgewählter Zitate, die wunderbar die glänzende - meist ironisch distanzierte - Sprache des Verfassers erleben lassen. Der Roman zeigt am Leben des Fürsten Giulio Fabrizio di Lampedusa, Fürst von Salina, den Niedergang seiner Gesellschaftsschicht und den Aufstieg des Bürgertums. Er beginnt mit den politischen Umwälzungen nach dem Siegeszug Garibaldis 1860 und endet mit dem Tod des Fürsten 50 Jahre später. Um diesen Kern rankt sich eine Vielzahl von Personen und Charakteren in weiteren Handlungssträngen und Episoden.

Rosie Cordsen Enslin hat Italo Calvino als nächsten Vertreter ausgewählt. Der Dichter wurde am 15. Oktober 1923 in Santiago de las Vegas auf Cuba geboren. Seine Kindheit verbrachte er in San Remo. Er studierte Philosophie und Literatur in Turin und arbeitete mehrere Jahre als Lektor für den Verlag Giulio Einaudi und als Redakteur bei verschiedenen Zeitschriften. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in alle Weltsprachen übersetzt. Italo Calvino starb am 19. September 1985 in Siena. Sein märchenhafter Roman "Der Baron auf den Bäumen" erzählt die Geschichte eines jungen rebellischen Adligen, der 1767 beschließt, die Familientafel zu verlassen und fortan auf den Bäumen zu leben. Von dort aus erkundet er die üppige Landschaft, erlebt diverse Abenteuer und klebt glücklich, ohne dabei auf die Liebe, die Politik und die Literatur zu verzichten. Rosie Cordsen Enslin versteht es durch ihren Vortrag den Zuhörer in diese fiktive Welt zu versetzen.

Hans Kärcher holt uns dort ab und führt uns zurück ins Mittelalter. Verdeutlicht durch Skizzen und Bilder, die in der Casa Dante in Florenz sein Interesse weckten, stellt er uns die 3 Teile von Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" vor. Wir lernen, dass "purgatorio" richtiger mit "Läuterungsberg" und nicht mit Fegefeuer übersetzt wird und dass es zwei Paradiese gibt: das irdische und das himmlische. Der römische Dichter Vergil begleitet den Dichter bis zum irdischen Paradies und erläutert all die Widrigkeiten der Welt. In diesem wunderbaren Garten auf der Spitze des Läuterungsberges erwartet ihn inmitten von Blumen und Wasser Beatrice - das Sinnbild der irdischen Liebe. Sie führt ihn dann durch die Himmelssphären bis zum himmlischen Paradies, das eine eher esoterische Veranstaltung ist, die sich in Massimo Tossis Bild als eine große weiße Rose darstellt, die irgendwo im Empireo schwebt, und, in der wenig passiert. In den letzten Cantos verschwindet dann Beatrice und der heilige Bernhard trägt als Letztes seine Anbetung der Jungfrau Maria vor. Dante war der Erste, der im dreizehnten Jahrhundert die lokale Sprache der Florentiner Bevölkerung in seiner Dichtung benützte, obwohl er natürlich eine klassische Bildung hatte und die alten Lateiner, wie zum Beispiel Vergil, im Original lesen konnte. Dante legte mit seiner Dichtung die Grundlage für das moderne Italienisch, so wie Luther mit seiner Bibelübersetzung die für das moderne Deutsch.

Hans Kärcher zitiert aus jedem der drei Bücher einen Gesang und gibt durch seine trockene distanzierte Art ein gutes Gefühl für dieses Werk.

Als Nächstes will uns Robert Axt die Lyrik Italiens näherbringen und den Dichter Leopardi mit Leben und Werk vorstellen. Giacomo Leopardi (1798 - 1837) revolutionierte die italienische Lyrik, seit Dante war sie rund 500 Jahre mittelalterlich, in Reimen und Themen erstarrt.
Dieter Körber hatte sich den 1867 geborenen und 1936 gestorbenen Luigi Pirandello vorgenommen. Luigi Pirandello war ein Autor auf der Suche nach der menschlichen Identität. Sein großes literarisches Werk umfasst sieben Romane, 311 Novellen und 44 Theaterstücke. Seine Figuren erleben in sizilianischen Verhältnissen Strukturen, die sie zwar durchschauen, denen sie aber dennoch ausgeliefert sind. In Pirandellos Stücken wird die Frage nach der Bedeutung von Subjektivität verhandelt, Subjektivität im Verhältnis von Eigentlichkeit und von Rollenverhältnissen. In Pirandellos Metatheater wird die Grenze von Fiktion und Wirklichkeit auf surrealistische Weise verwischt. Als seine Mutter mit Luigi schwanger ist, herrschen in Sizilien unruhige Zeiten. September 1866 tobte ein Aufstand von drei bis viertausend bewaffneten Bauern. Die Regierung schickt Truppen, die Soldaten vom Festland bringen leider das Bakterium Vibrio Cholera mit. Prompt erkrankt Luigis Vater an Cholera. Als der Vater nach seiner Genesung der werdenden Mutter gegenüber tritt erschreckt er mit seinem durch die Krankheit erbärmlichen Anblick, die Frau so, dass sie im siebten Monat niederkommt. In der Zeit als der kleine Luigi gestillt wird, geschieht es, dass der Vater in einer Auseinandersetzung mit einem Mafioso nieder geschossen wird. Schwer verletzt wird er ins Haus getragen, als die Mutter ihn sieht versiegt ihre Milch. Der kleine Luigi wird von einer Amme gestillt. Als er durch Erzählung die beiden Geschichten erfährt, bestärkt ihn das in der Annahme die Familie habe ihn gar nicht gewollt. Später erzählt er, wie ein Glühwürmchen sei er herab gesegelt, aber bei der falschen Familie gelandet. Sein ganzes Leben hat er immer die Idee vom vertauschten Sohn. (Titel einer Biografie von Andrea Camilleri) Nach dem Abitur studierte er Romanische Philologie in Rom und Palermo, dann in Bonn, wo er 1891 promovierte. Im selben Jahr kehrte er nach Rom zurück. Er verdiente seinen Unterhalt durch Unterricht und journalistische Arbeit. Außerdem veröffentlichte er erste Gedichtbände. 1894 heiratete er Maria Antonietta Portulano. Den hauptsächlichen Unterhalt der Familie trägt der Vater Besitzer einer Schwefelmine. 1903 wird die Familie Pirandello durch falsche Investitionen finanziell ruiniert. Dieser Bankrott führt bei Pirandellos Frau zu einem Trauma und dem Ausbruch einer psychischen Krankheit. Von seinem Schreiben konnte Pirandello erst ab 1916 leben. Als er beschließt ein Dramatiker zu sein ist er über 50Jahre alt. Hier gelang ihm ein weltweiter Erfolg 1921 mit dem Stück Sechs Personen suchen einen Autor. Das Drama löst einen Theaterskandal aus, denn es bedeutet eine Revolution der dramatischen Dichtung. Vorläufer des absurden und auch surrealen Theaters. Die Werke von Samuel Becket und Eugène Ionesco wären wahrscheinlich ohne Pirandello in ihrer vorgelegten Form nicht entstanden. Pirandello bricht mit dem Illusionstheater und begründet das moderne Theater. In einem Interview 1930 in Berlin bringt er folgendes Bonmot über den Tod: "Mein Tod, wird mein größtes Abenteuer sein. Ich werde mich hinsetzen und zusehen, wie Pirandello stirbt."
1934 erhält Luigi Pirandello den Nobelpreis für Literatur. Am 10. Dezember 1936 nur zwei Jahre später stirbt er in Rom. Literaturkritiker schreiben Pirandello habe Einsteins Relativitätstheorie in die Literatur gebracht. In lockerer Form stellt Dieter Körber den Dichter vor und erzählt Anekdoten aus dem Leben Pirandellos.

Als Originaltext hat unser Vorsitzender Dieter Körber Auszüge aus dem Theaterstück "Der Mann mit der Blume im Mund" gewählt. Pirandello nennt das kleine Werk einfach einen Dialog. Dieter Körber liest die Rolle des Todgeweihten (Mann mit der Blume im Mund) teils mit Verve, teils einfühlsam und bewegend. Der Dialog ist eigentlich fast ein Monolog vor einem nur verhalten reagierenden Zuhörer, den Barbara Metz gekonnt einbringt leider bleibt ihr nur wenig Raum. Der Dialog wird getragen von drei Ideen es ist einmal ein Lobgesang auf das Leben oder besser auf die Lust zu leben, dann eine Abscheu vor dieser Lebenslust und dann die Angst vorm Sterben, ein schmerzvoller Abschied vom Leben. Überzeugend die Rollenverteilung: Barbara Metz verhalten und distanziert - Dieter Körber spielt lebensnah die Angst vor dem Tod und die Lust am Leben. Last, but not least noch einmal Robert Axt. Er beendet den Reigen mit Leben und Werk des Dichters Ungaretti. Etwa 100 Jahre nach Leopardi beschreitet Giuseppe Ungaretti (1888 - 1970) einen völlig neuen Weg. Er wendet sich von den bisherigen Formen radikal ab und führt die italienische Lyrik in die Neuzeit.

Am Ende bleibt mir ein großer Dank an Hans Kärcher, der die Technik einrichtete und betreute und so uns Oldies ein neues Format nahebrachte. Der Abend war gelungen und in Zeiten von Corona werden wir nun auf dieser Basis weiterhin planen und dieses Format nutzen.

Almut Rose