Karbener LiteraturTreff e.V.
Bericht vom 22. März 2018
Leidenschaftlicher Fanatismus
Ort: KUHtelier, Groß Karben, im Schlosshof von Leonhardi
Zeit: 19.00 - 22:15 Uhr
Anwesende: ca.35 Personen und Pressevertreter
Hans-Martin Thomas begrüßt die Gäste im KUHtelier.
Anschließend übernehmen Barbara Metz und Dieter Körber abwechselnd die
Moderation. Herzlichen Dank den beiden auch für die Vorbereitung und
Organisation des Literaturabends.
Veronika Jezovšek sorgt am Piano für hervorragende musikalische Begleitung
zwischen den Beiträgen mit Stücken von Bach, Beethoven, R. Schumann, Brahms und Bartók.
Mit der Themenwahl der Autoren und Vorträge wurde eine sehr ambitionierte
Auswahl getroffen, von der tiefreligiösen Barockdichtung über den nimmer
vergehenden Gedanken an Rache bis zum subtilen Außenseitertum zwischen Geist und Natur.
Hans Kärcher beginnt mit Angelus Silesius (= lat. für Schlesischer Engel),
eigentlich Johannes Scheffler genannt, der von 1624-1677 als Theologe, Arzt
und Lyriker in Erscheinung trat. Nicht ohne Ironie beschreibt Hans die der
religiösen Mystik nahestehende Dichtung von Silesius. In der Sammlung
"Heilge Seelen-Lust" oder auch "geistliche Hirtenlieder" genannt, finden
sich Gedichte und Epigramme, die unserem heutigen Empfinden doch sehr entrückt
sind, darunter die zitierten Zeilen von dem mit "Lust gepaarten Begehren in die
Brust Christi am Kreuze", als auch das Volksliedhafte "Ihr kleinen Vögelein,
ihr Waldergötzerlein." Es überrascht die Intensität des religiösen Anliegens,
die in dieser Dichtung zum Ausdruck kommt, wenn sich in mystischer Weise die
Vereinigung zwischen Seele (=Braut) und Jesus (=Bräutigam) vollzieht. Manche
Gedichte von Silesius sind in evangelische Liederbücher eingegangen.
Mit Heinrich von Kleists "Michael Kohlhaas" befaßt sich Dieter Körber.
Prononciert und reich an Gesten und Mimik bringt er uns Kohlhaas näher, den
Pferdehändler, dem Unrecht geschah, und da ihm der Schutz des Gesetzes versagt
bleibt, keinen anderen Ausweg sieht, als "die Keule selbst in die Hand zu nehmen",
um zu seinem Recht zu kommen. Alle seine Bemühungen bei den Gerichten in Dresden
scheitern an Korruption und Vetternwirtschaft. Kohlhaas schart Anhänger um sich
und setzt in einem Rachefeldzug Stadt und Land in Brand. Letzenendes wird er
für seinen Aufruhr hingerichtet. In beeindruckender Weise schildert Dieter die
Szene aus dem Buch, in der Kohlhaas mit Martin Luther spricht, den er von der
Vorgeschichte und der Rechtschaffenheit seiner Taten überzeugen will. Luther
schilt ihn jedoch der Unverhältnismäßigkeit seiner Mittel, der wilden Selbstjustiz,
die Kohlhaas ausübt und dass er seinem Feind nicht vergeben könne.
"Michael Kohlhaas" ist ein gutes Beispiel dafür, dass Trotz und
Gerechtigkeitsfuror nicht immer zum Ziel führen.
Hans Kärcher wendet sich anschließend " Don Quijote de la Mancha" zu,
dem berühmten Roman von Miguel de Cervantes (1540-1616). Das Werk ist die
Parodie der seinerzeit hoch in Mode stehenden Ritterromane mit fantastischen,
unglaublichen Abenteuern, in denen der Unterschied zwischen Realität und
Fiktion verlorengeht. In der eintönigen Weite von La Mancha, der Hochebene
südlich von Madrid, hält Don Quijote die harmlosen Windmühlen für Riesen,
die er auf seinem Pferd attackieren muss: Der bekannte Kampf mit den Windmühlen
oder er hält staubige Hammelherden für mächtige fremde Heere, die er bekämpfen
muß. Sancho Pansa, sein Knappe, möchte seinen Herrn immer zur Realität zurückholen,
was ihm aber nicht gelingt. Als kleiner Landadeliger (Hidalgo = Kurzform für
"Sohn von irgendjemand") will Don Quijote selbst ein großer Ritter sein und
dazu ist ihm jedes Mittel und überbordende Fantasie gerade recht. Hans, der
als Jugendlicher den Roman mit Interesse gelesen hat, ist besonders die Szene
mit dem goldenen Helm in Erinnerung: Don Quijote und seinem Begleiter Sancho
Pansa begegnet ein Barbier zu Pferd, der auf seinem Kopf ein Seifenbecken
transportiert , das Don Quijote als den goldenen Helm des berühmten Ritters
"Mambrin" erkennt. Er reitet wild auf seinem Pferd "Rosinante" auf den Barbier
los, schlägt ihm das Seifenbecken vom Kopf und setzt es selber auf. Sancho
Pansa will den Irrtum aufklären, vergeblich, mit dem Seifenbecken als Helm
nennt er seinen Herrn künftig den " Ritter mit der traurigen Gestalt".
Sehr engagiert berichtet uns Almut Rose von Herman Melvilles "Moby Dick".
Es handelt sich dabei um den verzweifelten, einsamen Rachefeldzug, den Kapitän
"Ahab" gegen den weißen Wal führt, der ihm früher ein Bein abriss, als er ihn
fangen wollte. Der Stoff ist oft verfilmt worden. Ahab findet, obwohl er
verheiratet ist und ein Kind hat, den einzigen Sinn seines Lebens darin,
diesen Wal, seinen Rivalen, zu fangen und zu töten. Ein Paradebeispiel für
leidenschaftlichen Fanatismus. Ahab schwört die Mannschaft des Walfängers
auf sein Ziel ein und segelt kreuz und quer über die Meere, um den weißen
Wal angesichtig zu werden. Für die Mannschaft ist Ahab fast unsichtbar, man
hört ihn nur, wenn er mit seinem aus Walkieferknochen gedrechselten Ersatzbein
unterwegs ist. Stehen kann er nur, wenn er in rauer See sein "Holzbein" in dafür
vorgesehene Löcher im Schiff steckt. Dann wirkt er wie ein Standbild. Wale
waren gefährlich für die seinerzeitigen Fangschiffe, da sie länger als diese
waren. So geschah es, daß der weiße Wal zwar gesichtet wurde aber nach
dreitägigem Kampf das Schiff sinkt und Kapitän Ahab vom Wal in die Tiefe
gerissen wird und den Kampf somit verliert.
Barbara Metz führt einfühlsam ein in Thomas Manns "Tod in Venedig ".
Die 1911 erschiene Novelle spiegelt deutlich das Auseinanderbrechen der
bürgerlichen Wertmaßstäbe jener Zeit. Gustav von Aschenbach, verwitwet
und der Protagonist der Erzählung, ist ein für seine Werke geadelter
Schriftsteller. Während eines Sommerurlaubs in Venedig erblickt er am
Strand einen 14-jährigen langhaarigen Knaben, der in ihm Gefühle und stetig
steigende Sehnsucht weckt, zumal er ihn jeden Abend im Hotel zu sehen bekommt.
Zunächst wahrt Aschenbach scheue Distanz zu dem Jungen, die er in verschiedenen
Schritten immer mehr ablegt, bis aus ihm ein "würdeloser Greis" wird, so wie
Thomas Mann sein Werk selbst beschreibt "Komödie einer Entwürdigung". Dieser
Prozeß ist in einer subtilen Sprache beschrieben, die Barbara in leisem Ton
vorträgt, z. Bsp. " Er habe die Lust des Wollens nie süßer empfunden als beim
Anblick der körperlichen Linien des Jünglings". Oft spürt er bei allem Wollen
auch Ernüchterung, muß sich dann aber eingestehen, daß er den Knaben liebt. Das
Ende naht in Gestalt der Cholera, die aus Indien kommend, die Lagunenstadt
erreicht. Aschenbach infiziert sich und stirbt. Zuletzt dünkt ihm, der Jüngling
winke ihm vom Strand aus zu und wolle ihn mit hinaus aufs Meer nehmen.
Wiederum mit Thomas Mann beschäftigt sich nach der Pause Rosie Kärcher.
Seine Novelle "Tonio Kröger", erschienen 1903, ist ihr Thema, das auch in
der Schule für sie Pflichtlektüre wurde, weshalb sie den Anfang der Novelle
auswendig lernte. Nach der erneuten Lektüre nach Jahrzehnten erschien ihr die
Novelle doch etwas "plüschig". Tonio ist ein sensibler, künstlerisch veranlagter Schüler, der sich als
14-Jähriger in einen blonden, blauäugigen Jungen verliebt, der im Gegensatz
zu ihm ein Bastler und Sportler ist. In diesem Kontext wird der Gegensatz zwischen
Künstlertum und Bürgerlichkeit beschrieben, in den auch Biografisches aus dem
Leben des Autors hineinspielt. Letztendlich verspürt Tonio Lust nach den
"Wonnen des Gewöhnlichen", die er früher ablehnte und findet seine künstlerische
Triebfeder wiederum in den Blonden und Blauäugigen, diesmal einem Mädchen, und
findet einen Weg aus seinem Außenseitertum, indem er als Dichter die Liebe zum
Menschlichen entdeckt. "Tonio Kröger" ist Thomas Manns wahrscheinlich bekannteste
Novelle und eines seiner persönlichsten Werke.
Fritz Böhner stellt anschließend Mario Puzos "Der Pate" vor, besonders
bekannt auch in der Verfilmung mit Marlon Brando.
Wie Fritz betont, ist dieses Werk Weltliteratur in einer ganz anderen Art,
wie die heute bei diesem Abend vorgestellten Werke. Es handelt sich eigentlich
um Trivialliteratur, die behandelten Themen sind aber die gleichen:
Bedingungsloser Einsatz für eine Idee wie beim Mythos Mafia: Treue,
Familie Freundschaft, an erster Stelle aber die Treue. Hintergrund der
Handlung ist der Zwist zweier rivalisierender Mafia-Familien in New York. Nach
einem Massaker in seinem Heimatdorf in Sizilien beherrscht Don Corleone nur ein
Gedanke: Er will den Mord an seiner Familie rächen. Am Ende eines langen
Gemetzels lädt er seine Gegner ein, macht ihnen ein Friedensangebot und schwört,
keine Rache mehr nehmen zu wollen. Sein Sohn aber läßt alle Feinde seiner Familie umbringen….
Almut Rose hat sich vorgenommen, einen weiteren Autor und sein Werk zu
besprechen: Patrick Süßkinds Roman "Das Parfum" ist äußerst erfolgreich,
hat weltweit eine Auflage von 20 Mio, wurde in 49 Sprachen inklusive Latein ü
bersetzt und wurde auch zum Kinoschlager. Der Protagonist "Grenouille" hat
selbst keinen Eigengeruch, will aber zum größten Parfumeur aller Zeiten werden,
um andere für sich einzunehmen. Almut beschrieb sehr plastisch und lebhaft, wie
es dazu kommt und wie er dabei vorgeht: Er wird von einer Fischhändlerin im
stinkendsten Fischmarkt in Paris unter einer stinkenden Fischtheke geboren und
wird von seiner Mutter sofort gemeinsam mit stinkenden Fischabfällen in der
Seine entsorgt. Er überlebt, wird von einer Amme zunächst großgezogen, dann in
eine Gerberei ausgesetzt, deren Giftbrühe wiederum gewaltig stinkt. Er bemerkt
an sich einen phänomenalen Geruchssinn, den es immer weiter zu verbessern gilt.
Er sieht ein junges Mädchen, dessen Geruch ihn fasziniert. Er tötet sie, um aus
ihrer Haut ein vollkommenes Parfum herzustellen. Da er für jeden einzelnen einen
eigenen Duft kreieren will, muß er weitere Mädchen töten und sie in Wachs zu
Düften weiter zu verarbeiten. Dabei hat er niemals ein Gefühl des Unrechts. Am
Ende seines Wegs steht, daß er selbst von Artgenossen aufgegessen wird, die von
seinen Parfums so begeistert sind, daß sie ihn "zum Fressen gern haben".
Als letzten Beitrag bespricht Dieter Körber den Roman "Peter Holtz" von Ingo Schulze,
geboren am 15.12.1962. Es handelt sich um einen episodenhaften Schelmenroman, in
dem der Sozialismus, in den der Protagonist in der DDR hineingeboren wurde,
persifliert und anschließend der Kapitalismus verspottet wird. Der Roman ist im
Oktober 2017 erschienen mit dem Untertitel " Sein glückliches Leben, von ihm
selbst erzählt". Peter Holtz mausert sich vom Sozialisten zum Profiteur der
Wiedervereinigung, da er nach der Wende schnell zu Reichtum kommt. Er konstatiert
aber, daß in der BRD ohne Eigentum alles nichts ist, daß das Geld die Welt
regiert und Geld auch Unglück bringen kann. In einer "Aktionskunst" beginnt er,
1000-Markscheine zu verbrennen, was das um ihn herumstehende Publikum ratlos macht:
Darf er denn das, sein eigenes Geld verbrennen, stiftet überflüssiges Geld Unheil?
Er aber jubelt, denn jeder Geldschein brenne anders und stellt sich die Frage,
wie die Welt denn aussehe, wenn alle Sterntaler (die früher auf die Erde gefallen)
wieder zum Himmel zurückgekehrt sind.
Die Gäste danken allen Mitwirkenden mit Applaus für den abwechslungsreichen,
informativen und anspruchsvollen Abend.
Unsere nächste Veranstaltung ist am
Donnerstag, den 26. April 2018 um 19.00 Uhr im KUHtelier
Gastautorin ist Ingrid Noll,
die große alte Dame des deutschen Krimis
Robert Axt