Karbener LiteraturTreff e.V.
Thema: Angelika Klüssendorf
Tag: 26.03.2014
Ort: KUHtelier
Zeit: 19.35 - 20.45 Uhr
Anwesende: ca. 60 Personen und Pressevertreter
Herr Thomas begrüßt die Schriftstellerin Angelika Klüssendorf , die z.Zt.
Stadtschreiberin von Bergen ist. Die Auszeichnung gilt als angesehenster
Stadtschreiberpreis im deutschsprachigen Raum und wird seit 1974 vergeben.
Der Preis wurde von Franz Joseph Schneider , Autor der Gruppe 47, gestiftet
und Herr Thomas begrüßt seine Tochter, die Mitglied der Jury ist. Erster Preisträger
war Wolfgang Koeppen, der Festredner war W. Reich-Ranicki. Zahlreiche namhafte
Autoren erhielten seither den Preis, wie z.B. Peter Bichsel, Peter Härtling,
Robert Gernhardt, Herta Müller u.v.m. Die Verleihung des Preises erfolgt jedes
Jahr im Rahmen des Berger Marktes, einem Volksfest.
Angelika Klüssendorf wurde 1958 in Ahrensburg geboren, wuchs in Leipzig auf und
machte eine Ausbildung zur Zootechnikerin. 1985 übersiedelte sie in die
Bundesrepublik. Heute lebt sie in Brandenburg. Für ihre Werke erhielt sie schon
zahlreiche Auszeichnungen. Sie ist auf Lesetour durch Deutschland mit ihrem
neuesten Buch "April" erschienen 2014 bei Kiepenheur & Witsch. Das Vorgängerbuch
trägt den Titel "Das Mädchen". Beide Bücher können als eigenständige Werke gelesen werden.
Frau Klüssendorf liest nun aus verschiedenen Kapiteln ihres Buches:
April ist die Tochter eines Alkoholikers und einer sadistischen Mutter.
Ihr bisheriges Leben verbrachte sie in Heimen und nun, mit 18 Jahren, wird sie
ins Leben entlassen, in der DDR der späten siebziger Jahre. Die Jugendhilfe weist
ihr ein düsteres Zimmer zur Untermiete bei Fräulein Jungnickel zu, einer
spinnerten Seniorin. Gleichzeitig tritt sie eine Stelle als Bürokraft in einem
VEB Kombinat an. Eines Nachts vekohlt der Koffer mit ihren wenigen persönlichen
Erinnerungen auf dem Herd und die Feuerwehr muss den Brand löschen. Nach einem
Selbstmordversuch landet sie im Krankenhaus und wird in eine psychiatrische
Klinik mit offenem Aufenthalt eingewiesen. Während ihres Klinikaufenthaltes
freundet sie sich mit den alten Frauen an, spürt aber in ihrem Zimmer eine
große Einsamkeit. Nach ihrer Entlassung verliebt sie sich in Hans und wird
schwanger. Hans ist Soldat. In einem Brief erwähnt sie nebenbei, dass sie
schwanger ist. Hochschwanger besucht sie ihre Mutter, die sie stark alkoholisiert
empfängt und kaum Notiz von ihr nimmt. Sie bekommt einen Sohn. Nach zwei Jahren
stellt sie einen Ausreiseantrag in die BRD. Bei der Ausreise wird sie an der
Grenze streng kontrolliert . Sie landet im Flüchtlingslager Marienfelde in
West-Berlin und wird mit vielen Formalitäten konfrontiert. Ein Gefühl von
Freiheit stellt sich nicht ein und sie bekommt Heimweh.
Die Sprache ist klar und schnörkellos, der Stil ist nüchtern und unsentimental.
Klüssendorf hat die DDR zwar als Schauplatz ihrer Geschichte gewählt, aber nicht
als Thema. Aprils Schicksal enthält zu 13 % (lt. Klüssendorf) biografische Züge.
Die junge Frau braucht Menschen, Nähe, Liebe, doch im nächsten Moment kann sie
die Nähe nicht gebrauchen. So sehr sie auch das Alleinsein fürchtet, noch mehr
fürchtet sie die Abhängigkeit von andern. April ist eine Heldin, die mal
zerbrechlich wirkt und mal zäh, eine Kämpferin mit sich selbst.
Herr Thomas dankt Frau Klüssendorf für ihre Lesung und ist froh, dass sie uns im
Literatur-Treff besucht hat. Unser nächstes Treffen findet statt am
30. April 2014 um 19.30 Uhr
im KUHtelier mit
Lebensläufen von Migranten/innen
aus der Schreibwerkstatt von Frau Klein-Esselborn
Renate Gasser