Literaturforum Karben e.V.



Bericht vom Literaturabend, am 30. Januar 2020:
"Dichter und ihre Mütter, Liebe Macht und Einfluss"



Ort: KUHtelier, Groß Karben, im Schlosshof von Leonhardi
Zeit: 19:30 - 21: 55 Uhr
Anwesende: ca. 40 Personen und Pressevertreter

Das Literaturforum Karben e. V. begann sein Jahresprogramm 2020 mit einem von Barbara Metz organisierten und gestalteten Literaturabend unter dem Titel "Dichter und ihre Mütter, Liebe, Macht und Einfluss".
Der erste Vorsitzende Dieter Körber begrüßte die Gäste, insbesondere die Pianistin Martina Riedel, die den Abend mit liebevoll ausgesuchten Klavierstücken musikalisch begleitete.
Körber ging kurz auf den neuen Vereinsnamen "Literaturforum Karben e.V." ein. Die Mitglieder waren in der Jahreshauptversammlung mehrheitlich der Meinung, dass der Name "Karbener Literaturtreff" die heutige Situation des prosperierenden Vereins zu wenig abbilde und der Name LITERATUFORUM KARBEN e.V. der Leistung des Vereins besser gerecht werde.




Dieter Körber führte mit der Darlegung der psychologischen Aspekte des Sohn-Mutterverhältnisses ins Thema ein. Er erläuterte die Problematik dieses Verhältnisses anhand des von G. C. Jung geprägten Begriffs "Mutterkomplex" und des heutigen Begriffs "Charakterneurose". Körber erklärt die Folgen einer nicht gelungenen Ablösung von der Mutter auf dem Weg zum erwachsenen Mann. Aus der nicht gelösten Bindung zur Mutter, egal ob sie gut oder schlecht war, entwickelt sich der sogenannte Mutterkomplex und damit ein seelisches Problem für den Mann.
Passend zum Thema intoniert Martina Riedel gefühlvoll "The river flows in you", Yiruma.
Dieter Körber beginnt den literarischen Reigen mit Theodor Fontane (1819 bis 1898), der am 30. Dezember 2019 seinen 200sten Geburtstag hatte. Auch noch ein zusätzlicher Grund ihm den ersten Platz zu reservieren. Theodor Fontane veröffentlichte 77jährig den biografischen Abriß seiner Kinderjahre. Aus Band 3 der Werke liest Dieter Körber mit ausdrucksvoller Gestik und Diktion Auszüge aus dem Kapitel "Wie wir erzogen wurden". Sehr lebendig lässt Körber die Kinderstubenatmosphäre des 19. Jahrhunderts entstehen.

Eine sehr starke Abhängigkeit von der Mutter findet sich bei Friedrich Nietzsche (1844 bis 1900). Anschaulich und mit deutlichen Untertönen schildert Karin Schrey sein Verhältnis zur Mutter Franziska als ein "Rundum- sorglos -Paket" und offenbart mit Zitaten aus dem Briefwechsel die Abhängigkeit und zunehmende Unfähigkeit des Philosophen, mit den normalen Lebensumständen fertig zu werden und seinen Alltag selbst zu meistern. Während er seine großen und tiefen Gedanken mit Freunden, Bewunderern und Verlegern teilt, ist seine Mutter mit der Beschaffung und Besorgung der Dinge betraut, die er zum täglichen Leben braucht. Amüsiert lauschen die Besucher dem temperamentvollen und engagierten Vortrag Karin Schreys.

Das von Martina Riedel dargebotene Klavierstück: "Hold together" von Daniel Hellbach. ist passgenau abgestimmt auf den Vortrag.

Dem besonderen Mutter-Sohnverhältnis Rainer Maria Rilkes (1875 bis 1926) haben sich Ingrid und Robert Axt gewidmet. Ihr Vortrag stand unter der Überschrift "Der Dichter und seine Mutter "Phia", René, ein guter Sohn?" Mit klug verteilter Wechselrede ließen sie die Mutter-Sohn-Situation lebendig werden und gingen der Frage nach hat Rilke die Mutter tatsächlich geliebt, war er ein "guter Sohn"? Rilke wächst als verzärtelter Knabe heran ohne Kontakte zu Altersgenossen und lebt in lebenslanger emotionaler Abhängigkeit von der Mutter, der Vater hat kaum eine Bedeutung. Rilke wird von den Frauen geliebt und lässt sich das Verwöhnen gerne gefallen.

"A moment lost" von David Nevue stimmt uns auf Südamerika ein

Die Referentin Rosie Cordsen-Enslin liest ein ins Deutsche übersetztes Gedicht von dem argentinischen Dichter Jorge Luis Borges (1899 bis 1986) und die Kommentare dazu. Dann bezieht sie sich auf sein dichterisches Werk. Borges gilt als Begründer des magischen Realismus in der Literatur und als Verfechter des Post-Strukturalismus in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens. In seinen Erzählungen zeigt er sich als ein Meister beim Aufspüren von Zeichen und Geheimnissen. Seine Geschichten sind reich an raffinierten Anspielungen an Themen aus der jüdischen Kabbala, der aztekischen Mythologie, der Bibel, der Philosophie und der Mystik. Auch in seinen Gedichten nimmt Borges reichlich Bezug auf Mythen, Symbole, Metaphern und philosophische Betrachtungen. Sein Leben lang unterhielt er eine tiefgehende, bereichernde und literarisch sehr kreative Beziehung zu seiner Mutter, die jedoch nicht immer leicht war in Beziehung auf seine zwei Ehefrauen, was zu Irritationen führte. Dennoch behielt die Mutter immer den Vorrang. Von seinen rätselhaften Erzählungen ist wohl die bekannteste "Das Aleph". Jorge Luis Borges war trotz eines Augenleidens, das ihn erblinden lies einer der bedeutendsten Bibliothekare in der Welt der Literatur. Umberto Eco der bedeutende Textsemiotiker hat in seinem Roman "Im Namen der Rose" (Il nome della rosa) Borges mit der Figur des blinden Mönchs, der die Bibliothek verwaltet, Borges ein literarisches Denkmal gesetzt und diesen Handlungsstrang des Romans als eine Hommage an den großen Dichter verstanden.

Nach Ende der Pause werden die Besucher mit "In the Groove" von Mike Cornick von interessanten Gesprächen zurück ins KUHtelier gelockt zu Erich Kästner (1899 bis 1974).

Das Verhältnis zwischen Erich Kästner und seiner Mutter Ida Kästner wird in praktisch allen Biographien als besonders eng bezeichnet. Ida Kästner engagierte sich über alle Maßen für ihren Sohn, vereinnahmte ihn aber auch umgekehrt sehr; der kleine Erich war der Sinn in ihrem Leben; dies nach neueren Forschungen wohl auch deshalb, weil Emil Kästner nicht Erichs leiblicher Vater war, und Ida Kästner in der Partnerschaft mit ihrem Mann nicht allzu viel Erfüllung fand. Erich Kästner bemühte sich stets, den oft hochgesteckten Erwartungen der Mutter gerecht zu werden. "Da sie die vollkommene Mutter sein wollte und war, gab es für mich, die Spielkarte keinen Zweifel: Ich musste der vollkommene Sohn werden. Wurde ich's?" So Erich Kästner, in dem Band "Als ich ein kleiner Junge war". Ob man Erich Kästner deshalb als "Muttersöhnchen" bezeichnen darf, ist umstritten. Tatsache ist, dass auch noch zu Kästners Leipziger und Berliner Zeiten - bis hin zum Zusammenbruch des Postwesens und den Luftangriffen auf Dresden 1944 - seine Mutter sich mit Wäschepaketen um seinen Kleiderschrank kümmerte (Erich war damals 45!). Manfred Mattner liest ausdrucksstark zwei Gedichte Erich Kästners "Eine Mutter zieht Bilanz" und "Junggesellen sind auf Reisen".

Mit der "TANG-Oper" von Christoph Hahn ist Martina Riedel in ihrem Element.

Urs Widmer (1938 bis 2014) beschreibt das Verhältnis von seiner oder einer Mutter zu einem egozentrischen Manne. Die zu Unterwürfigkeit erzogene junge Frau, Clara Molinari (die Mutter des Autors), glaubt in der Person des Dirigenten Edwin die große Liebe ihres Lebens gefunden zu haben. Die jahrelange Demütigung, von ihm nicht wahrgenommen zu werden, quält sie zunehmend auf führt schließlich zum psychischen Zusammenbruch. Der Autor, der als Sohn der Protagonistin des Romans dem Lebensweg seiner depressiven Mutter eigentlich nicht objektiv gegenüberstehen kann, gelingt es, durch seine lakonische Erzählweise ein einfühlsames Porträt einer gedemütigten, unglücklichen Frau zu zeichnen. Der Autor Urs Widmer - also der Sohn - versucht, die tragische Geschichte seiner psychisch kranken Mutter in teils authentischer, teils fiktionaler Erzählweise aufzuarbeiten. Einfühlsam, aber lakonisch und manchmal bewusst unterkühlt, schildert er den Lebensweg der seit ihrer Kindheit unterdrückten Frau. Nie larmoyant oder anklagend, auch nicht gegenüber dem hochnäsigen Künstler und gerissenen Geschäftsmann, dessen Ausstrahlungskraft das Leben seiner Mutter zerstörte, zeichnet er emotional zurückhaltend, aber sehr bewegend ein "biografisches Porträt der Mutter". Almut Rose lässt fast ausschließlich Urs Widmer zu Wort kommen und man merkt ihr an, wie sie von dem kleinen Büchlein "Der Geliebte der Mutter" gefangen genommen und begeistert ist.

Und nun noch ein gefühlvoll zartes Klavierstück "Primavera" von Ludovico Einaudi, das die Besucher auf den letzten Literaturbeitrag einstimmt.

Peter Handke (1942) der Nobelpreisträger für Literatur 2019, gescholten und geehrt. Man müsse zwischen der Person und ihrem literarischen Werk unterscheiden, hatte die Akademie zu den politisch motivierten Protesten erklärt. In der Sonntagsausgabe der Volkszeitung hatte Peter Handke vom Tod der Mutter gelesen: In der Nacht zum Samstag [20. November 1971] verübte eine 51-jährige Hausfrau aus A. (Gemeinde G.) Selbstmord durch Einnehmen einer Überdosis von Schlaftabletten. Sieben Wochen später beginnt er mit der Erzählung "Wunschloses Unglück". Am Beispiel seiner Mutter zeigt Peter Handke die Schwierigkeiten einer Frau aus einfachen Verhältnissen, sich selbst zu emanzipieren und zu verwirklichen. Das Leben dieser Frau wechselt zwischen den Gegensätzen Auflehnung und Anpassung, Liebe und Pflichtehe, Entdeckung der eigenen Individualität und Zusammenbruch. Peter Handke wählte in "Wunschloses Unglück" eine realistisch und distanziert erscheinende, nicht besonders anschauliche Darstellungsweise und reflektiert zwischendurch darüber, dass er weder eine individuelle Biografie noch die Geschichte einer Kunstfigur erzählen möchte. Gekonnt und engagiert liest Barbara Metz mit ruhiger eindringlicher Stimme aus "Wunschloses Unglück".


Mit einem Dank an alle Vortragenden und einem Blumenstrauß für die Pianistin Martina Riedel verabschiedet Dieter Körber die Gäste.

Unser nächster literarischer Abend trägt den Titel:
"Literatur und Humor vom leichten Lächeln zum befreiten Lachen"
er findet statt am 27. Februar 2020, um 19:30,

im KUHtelier, Burg-Gräfenröder-Straße 2, Groß-Karben


Almut Rose